01.10.2003

Jeden Tag zwei neue große Staudämme ...

von Deutsche Welthungerhilfe

oft mit verheerenden ökologischen und sozialen Folgen

Auf der Strecke bleiben der Umweltschutz und Millionen Menschen, deren Häuser und Äcker in den Fluten versinken.

Der Stausee am Balbina-Kraftwerk im Norden Brasiliens wird bis zum Jahr 2008 etwa achtmal so viel Treibhausgas in die Atmosphäre blasen, wie ein Kohlekraftwerk gleicher Leistung. Obwohl Wissenschaftler vor allem bei Stauseen in den Tropen eine verheerende Umweltbilanz ziehen, wird kräftig weiter gebaut – oft mit Hilfe der Industriestaaten, deren Firmen am Bau gigantischer Stauseen und Wasserkraftwerke glänzend verdienen. Auf der Strecke bleiben der Umweltschutz und Millionen Menschen, deren Häuser und Äcker in den Fluten versinken.

Als 1988 das Kraftwerk am Balbinastausee nördlich von Manaus in Betrieb genommen wurde, hatte der See rund 2500 Quadratkilometer Urwald, Tiere, Äcker und ganze Dörfer verschlungen. Seither zerfällt die Biomasse im See, der an manchen Stellen nur fünf Meter tief ist. Das sauerstoffarme Wasser setzt immer mehr klimaschädliche Gase frei, darunter große Mengen Methan. Dieses giftige Gas gilt als einer der gefährlichsten Klimakiller – viel schlimmer als etwa Kohlendioxid. Und die Zuflüsse schwemmen immer neue Biomasse in den See.

Vor allem in den Tropen und Subtropen liefern Stauseen keine "saubere Energie" – im Gegenteil.

Der Balbina-Stausee ist kein Einzelfall. Wissenschaftler der "Weltkommission für Staudämme" haben im Auftrag der UNO zahlreiche Staudämme untersucht. Das Ergebnis war niederschmetternd. Vor allem in den Tropen und Subtropen liefern Stauseen keine "saubere Energie" – im Gegenteil. Ob in Indien, Thailand, Pakistan oder Französisch Guyana, überall produzieren die künstlichen Seen mehr Treibhausgase als ein vergleichbares Kohlekraftwerk abgeben würde.

Im Einzugsbereich des Amazonas sind noch über hundert weitere große Staudämme geplant. Dazu müssten rund 500.000 Menschen umgesiedelt werden, fast 30.000 Quadratmeter Wald sind bedroht. In Indien plant die Regierung allein am Narmada-Fluß über 3.000 neue Dämme – das teuerste Projekt, das in Indien je in Angriff genommen wurde.

  • Drei-Schluchten-Damm, ©
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In China wird seit 1994 am "Drei-Schluchten-Damm" gebaut, nächstes Jahr soll an dem Superdamm die Energieproduktion aufgenommen werden. Der bis dahin entstandene See wird etwa 1,2 fach so groß sein wie der Bodensee. Das Projekt kostet insgesamt mindestens 30 Milliarden Dollar - Nutznießer sind vor allem Firmen aus Kanada, den USA, Deutschland und der Schweiz. Für das Engagement deutscher Unternehmen hat die Bundesregierung sogenannte Hermesbürgschaften übernommen - Millionenbeträge, die als Entwicklungshilfe angerechnet werden.

Seit 1950 sind weltweit rund 40.000 neue große Staudämme fertig gestellt worden - das sind durchschnittlich zwei pro Tag. Mindestens 60 Millionen Menschen wurden von ihrem Land vertrieben. Meist trifft die Umsiedlung einfache Bauern und ihre Familien. Fast nie erhalten sie eine angemessene Entschädigung. Wenn sie überhaupt neues Land angeboten bekommen, dann meist schlechtere Böden und viel weniger Fläche als sie verloren haben. Vor allem in Asien und Afrika sind auf diese Weise Millionen Menschen verarmt, haben sich Hunger und Krankheiten ausgebreitet.

Tausende Familien verloren ihre Existenzgrundlage. Biologen führen das weltweite Artensterben in den Flüssen vor allem auf den Bau von Staudämmen zurück.

Stauseen wirken sich aber auch verheerend auf den Unterlauf der Flüsse aus. Ströme wie der Ganges, der Indus oder der Rio Grande fallen monatelang trocken, einst fruchtbare Flussauen versteppen. Weil weniger Frischwasser und Nährstoffe bis in die Mündungsregionen gelangen, wird die Nahrung für viele Fisch- und Meerestierarten knapp. Schon bald nach dem Bau der Dämme am Volta-Fluss in Ghana brach deshalb die einst blühende Muschelindustrie im Volta-Delta zusammen. Tausende Familien verloren ihre Existenzgrundlage. Biologen führen das weltweite Artensterben in den Flüssen vor allem auf den Bau von Staudämmen zurück. Etwa ein Fünftel aller Süßwasser-Lebewesen droht mittlerweile auszusterben.

Rund zwei Drittel aller Staudämme werden gebaut, um Wasserreservoirs für die Landwirtschaft anzulegen. Der Rest dient vor allem der Wasser- und Stromversorgung von Industrieanlagen und Städten. Die Fachleute sind inzwischen skeptisch geworden, ob der Bau großer Anlagen sinnvoll ist. In fast allen untersuchten Fällen hätten kleine dezentrale Lösungen den selben Nutzen und viel weniger Schäden gebracht. Obendrein hätten sie Kosten und Folgekosten gespart, die insbesondere ärmere Entwicklungsländer kaum noch aufbringen können.

Von der Reparatur maroder Wasserleitungen, Recycling- und Energiespar-Programmen und intelligenten Bewässerungsmethoden hätte zudem auch die ärmere Bevölkerung profitiert. Die Wissenschaftler der Weltkommission für Staudämme haben nämlich auch festgestellt: die Anlage künstlicher Seen und der Bau von großen Kraftwerken nützen vor allem den Besitzern großer Plantagen, finanzkräftigen ausländischen Firmen und den Bewohnern der sogenannten "besseren" Stadtviertel. Dagegen müssen, so wörtlich, "arme Menschen und künftige Generationen einen übermäßig hohen Anteil der sozialen Kosten und der Umweltkosten tragen".

Die Weltbank und einige Industrieländer finanzieren die Untersuchungen der Staudamm-Forscher. Theoretisch fließen ihre Ergebnisse auch in neue Förderrichtlinien ein. In der Praxis aber werden weiter Entwicklungshilfegelder in den Bau gigantischer neuer Anlagen gesteckt. Der geplante Bujagali Damm in Uganda ist nur eines von vielen Beispielen. Dort haben die Weltbankinspekteure festgestellt, dass der Bau fast allen ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Förderkriterien der Weltbank widerspricht. Doch die Interessen der ausführenden Firmen, allen voran der amerikanischen AES Corporation, wiegen schwerer - und so hat die Weltbank 225 Millionen Dollar Kredite zugesagt, weitere Finanzgarantien sind bereits in Aussicht gestellt.