Die Macht der Würde
07.01.2008

Die Macht der Würde oder ›macht Würde mächtig‹?!

Autor/en: Hg. von Christoph Quarch, Silke Lechner, Peter Spiegel

von Eva Sietzen
„Wie finden wir von einer Globalisierung der Märkte zu einer Globalisierung des Herzens?"
Eckhard Nagel

Auf einer Pressekonferenz am 22. Mai 2007 stellte Kirchentagspräsident Reinhard Höppner das Buch wie das Projekt des DEKT vor. Der fast zeitgleich in Heiligendamm tagende G8-Gipfel hatte die Organisatoren des Kirchentages dazu bewogen, zum Thema Globalisierung Stellung zu beziehen. Der frühere Präsident des Kirchentages Eckhard Nagel hatte am Ende des Kirchentages 2005 die prägnante Frage gestellt „Wie finden wir von einer Globalisierung der Märkte zu einer Globalisierung des Herzens?" Das hatte den Anstoß gegeben nach einem normativen Kriterium zu suchen, das das globale Wirtschaften, die globale Politik in humanen Schranken hält. Der Begriff der Menschenwürde ist, so die Herausgeber des Buches, geeignet „als globales, wenn nicht universales Kriterium zu dienen, Kraft dessen die maßlos und vermessen gewordene Globalisierung der Märkte humanisiert werden könne." (Einleitung zum Band S. 10) Die Frage nach der Würde des Menschen soll zum Gestaltungskriterium im Prozess der Globalisierung werden. Eine Mindestregel müsse lauten, „vermeidet Demütigungen. Demütigungen produzieren Gewalt und Terrorismus."

Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen aus der Schöpfungsgeschichte ist der zentrale Ausgangspunkt, der Bezug auf unser eigenes theologisches Fundament. Gott der Schöpfer hat, so heißt es im Schöpfungsbericht, jeden Menschen nach seinem Bilde geschaffen und damit jedem Menschen die gleiche Würde verliehen. Der Schöpfungsbericht spricht von der Ebenbildlichkeit Gottes aller Menschen, er macht keinen Unterschied zwischen Anhängern verschiedener Kulturen. Eine Verletzung der Menschenwürde ist zugleich immer auch ein Schlag ins Gesicht Gottes. „Die Frage nach der Würde des Menschen entlarvt alle Heilsbringer, die - notfalls mit Gewalt - anderen ihr Glück aufzwingen wollen. Sie zwingt mit anderen in einen Dialog einzutreten über die Frage, worin sie ihre Würde verletzt sehen," so der Kirchentagspräsident Reinhard Höppner auf der Pressekonferenz in Berlin im Mai.

Wir brauchen Aktionspläne (nach Art des Marshallplans), die besonders nachteilig betroffene Regionen dieser Welt, insbesondere Afrika, unterstützen und ihnen die Würde zurückgeben.
Peter Spiegel

Peter Spiegel, Generalsekretär des Global Economic Network, und Mitherausgeber des Buches ergänzte, dieser Band des Kirchentages sei zu verstehen als ein Appell an den G8-Gipfel, die dortigen Regierungschefs der größten Industrienationen säßen in einem Denkgefängnis des Nationalstaats. Dieses Denkgefängnis gelte es zu überwinden, es muss klar werden, dass wir nicht nur die Wirtschaft globalisieren können, und alles andere beim Alten belassen, wir brauchen eine Globalisierung der Verantwortung. Wir brauchen Aktionspläne (nach Art des Marshallplans), die besonders nachteilig betroffene Regionen dieser Welt, insbesondere Afrika, unterstützen und ihnen die Würde zurückgeben.

Auf die Frage eines Journalisten, ob nicht, angesichts der sehr heterogenen Autorenschaft des Buches, darunter viele Vertreter nichtchristlicher Religionen und Kulturen, ein Phänomen der Überpolitisierung und Säkularisierung des Kirchentages zu befürchten sei, das nach den Worten des Ratsvorsitzende der EKD dazu führe, dass sich der Evangelische Kirchentag von seinem eigentlichen Kerngeschäft entferne, antwortete Höppner: „Ich teile nicht die Auffassung, dass wir uns von unseren eigentlichen Aufgaben wegbewegen, wenn wir in den Dialog mit anderen Religionen und Kulturen treten."

Das Thema ‚Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung’ löse mittlerweile nur noch Gähnen aus.

Ellen Überschär, Generalsekretärin des Kirchentages, erklärte, man habe in der Vorbereitung des Kirchentages nach einer Formel gesucht, die man nicht so ohne weiteres beiseite legen kann. Das Thema ‚Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung’ löse mittlerweile nur noch Gähnen aus. Die mit starken Konnotationen aufgeladenen Begriffe ‚Macht’ und ‚Würde’ hingegen würden auch aufgrund ihrer Gegensätzlichkeit mehr erreichen können. In der englischen Übersetzung Power of Dignity komme das noch stärker zum Ausdruck. Macht (power) bedeute nicht nur das ‚Macht-über-andere-Haben’, sondern eben auch Energie, Kraft, Vitalität. Der Begriff Würde (dignity) sei interkulturell verständlich, beim Begriff Menschenrechte könne man dagegen fragen, ob dies ein Wert ist, den alle Kulturen teilen, gelten Menschenrechte überall? Auch der Ratsvorsitzende der EKD Bischof Huber hatte in einem Vortrag betont, eine „der Stärken des Menschenwürdebegriffs", liege „gerade in seiner universalen Gültigkeit und damit in seiner Begründungsoffenheit für unterschiedliche weltanschauliche Zugänge." (S. 10)

Doch hatte nicht gerade die christliche Religion in ihrer langen Tradition den Begriff der Würde eher herabgewürdigt und an dessen Stelle Demut gefordert? Auf dieses Problem geht ein Beitrag, der des Franziskanerpaters Richard Rohr ein.

Wenn wir den Satz „Und Gott der Herr schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn."(1. Buch Mose 1,27) wirklich glauben würden, so Rohr, „könnten wir den meisten Menschen 10.000 Dollar an Therapie-kosten ersparen!" Somit fängt die jüdisch-christliche Religion mit einem äußerst positiven Fundament an. Wir könnten es ‚Ursegen’ nennen. Dieser wurde aber nur selten von der späteren christlichen Tradition ernst genommen. (...) Die ‚gelenkte Religion, die irgendwie unter ihren Anhängern eine Abhängigkeit schaffen musste zog es vor, stattdessen die ‚Ursünde’ zu betonen. Diese hielt uns vereint, ließ uns aber machtlos in unserer Minderwertigkeit - statt uns durch Würde mächtig und vereint zu machen." (Richard Rohr, Die innere Würde; in: Die Macht der Würde S. 207)

Der Begriff ‚Würde’ kommt in der Bibel, und insbesondere im Neuen Testament kaum vor, in dem Kontext der Schöpfungsgeschichte überhaupt nicht, er lässt sich nur - das allerdings recht plausibel - ableiten aus der genannten ‚Gottesebenbildlichkeit’. Wenn Gott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen hat, dann ist ihm dadurch ein hohes Maß an Würde zu eigen.

Der Band besteht aus einer Sammlung höchst heterogener Aufsätze verfasst von einer Schar ebenso prominenter wie unterschiedlicher Autoren, angefangen beim Dalai Lama, über Michail Gorbatschow, Muhammad Yunus, Klaus Töpfer, Franz Alt bis hin Heidemarie Wieczorek-Zeul.

„Unser Leben ist sinnlos, wenn wir den Wert der Gerechtigkeit und die Ethik verlieren. Wir alle haben das gleiche Recht darauf."
Dalai Lama

Quasi als Fanal beginnt das Buch mit einem Beitrag des wohl prominentesten Autoren dieser Textsammlung, dem Dalai Lama. Er beginnt seinen Text mit dem Satz: „Unser Leben ist sinnlos, wenn wir den Wert der Gerechtigkeit und die Ethik verlieren. Wir alle haben das gleiche Recht darauf." (S. 15) Der Dalai Lama betont die Werte ‚Gerechtigkeit’ und ‚Gleichheit’, eher typisch jüdisch/griechische Werte, die für andere Kulturen nicht so fundamental sind. Doch nach diesen Präliminarien geht er in einem recht unvermitteltem Schwenk über zum wesentlichen Gedanken seines nur knapp vier Seiten langen Beitrages. Die Beschäftigung mit negativen, dem Anderen Übel wollenden Gedanken, mit Rachegelüsten, selbstgerechtem Zorn, etc. schade demjenigen, der sie hegt, mindestens ebenso, wie demjenigen, gegen den sie sich richten. Ein Plädoyer für Vergebung und Empathie als Befreiung von negativen Gefühlen. Sicher ein richtiger Gedanke, doch was er mit dem Begriff der Würde, dem Thema des Buches zu tun hat, erschließt sich der Leserin nicht so ganz. Man wüsste schon gerne, wann und zu welchem Anlass der Dalai Lama diesen Text verfasst hat. Dass es eine direkte Reaktion auf den in der Einleitung abgedruckten Impulstext der Herausgeber ist, scheint mir eher unwahrscheinlich zu sein.

Bei anderen Beiträgen wird dies in dem Sammelband explizit vermerkt, so ist der Text von Michail Gorbatschow eine bearbeitete Rede vor der Kommission für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen im Jahr 2005. Er bestimmt darin das Menschenrecht auf Wasser zum Baustein menschlicher Würde, stellt die Milleniumsziele der Vereinten Nationen den beschämenden Realitäten nach der Hälfte der Zeit gegenüber. Er fordert ein Menschenrecht auf Wasser. Und damit geht es in diesem Beitrag wie in vielen anderen dieses Bandes doch wieder in erster Linie um das Thema Menschenrechte. Was ja insofern nicht falsch ist, als es der Grundgedanke des Herausgeberteams ist, dass die Würde des Menschen nur zu wahren sei, wenn die Menschenrechte geachtet, die Ignoranz gegenüber Grundbedürfnissen nicht verletzt wird.

So heißt es indem Aufsatz von Samuel Kobia „Die Macht der Würde ist Wirklichkeit, wann und wo immer Menschen ihr Lebensrecht beanspruchen und darauf bestehen, dass Leben in all seinen Formen heilig ist; das heißt, dass jedes Leben und jeder Aspekt des Lebens Gottes Geschenk ist und unserer tiefsten Wertschätzung, unseres Respektes und der Verteidigung gegen jegliche Bedrohung bedarf."(S.103) Die dem Menschen innewohnende ihm von Gott verliehene Würde, verleihe dem Menschen zugleich die Kraft (Macht/ Power), sie zu verteidigen und zu bewahren und dort, wo sie verletzt wurde, wieder herzustellen.

Wo bleibt unsere Gottesebenbildlichkeit, wenn wir den Skandal zulassen, dass 26 000 Menschen jeden Tag in der dritten Welt verhungern?
Franz Alt

Franz Alt macht auf einen Aspekt aufmerksam, der in anderen Beiträgen fehlt, dass es nämlich nicht nur darum geht, die verletzte Würde der Opfer der Globalisierung in den Blick zu nehmen und wieder herzustellen, sondern dass gerade auch umgekehrt die sogenannten Gewinner der Globalisierung sich fragen müssten, ob sie nicht würdelos handeln, wenn sie auf Kosten und zum Nachteil der Länder des Südens Ressourcen vergeuden, wenn der tägliche Verbrauch an Energie eines Einwohners der reichen Industriestaaten 25 mal so hoch ist wie der eines Afrikaners. Wo bleibt unsere Gottesebenbildlichkeit, wenn wir den Skandal zulassen, dass 26 000 Menschen jeden Tag in der dritten Welt verhungern?(S. 258 f.).

Dieses Buch dokumentiert zweifellos ein zuhöchst ehrenwertes Projekt, ob aber die zugrunde liegende These trägt, ist fraglich. Die Voraussetzung, dass der Begriff der Würde universal sei und in allen Weltanschauungen und Kulturen anzutreffen und vor allem, dass er dann auch überall dasselbe bedeute, ist eher skeptisch zu beurteilen.

In der Kultur des Islam spielt insbesondere die Würde des Mannes eine ganz erhebliche Rolle. Aber mindestens ebenso die Forderung nach Unterordnung, der Frauen, der Kinder. Aus der Anerkenntnis der Gottesebenbildlichkeit des Menschen ziehen selbst die abrahamitischen Religionen nicht den Schluss, dass alle Menschen die gleiche Würde, gleiche Rechte hätten, - keineswegs. Und vom Buddhismus wissen wir zumindest, dass eine Stärkung der Würde des Einzelnen, der individuellen Person, die ja immer nur Träger der Gottesebenbildlichkeit sein kann, eher nicht erwünscht ist.

Woher rührt also der Optimismus der Herausgeber, mit dem Begriff der Würde auf Grund der Gottesebenbildlichkeit einen Ansatzpunkt zur Humanisierung der Globalisierung in die Hand bekommen zu haben? Ein wenig klingt das Ganze nach einem Echo einer fast schon vergessenen Debatte, die Habermas, der von sich selbst sagt er sei religiös unmusikalisch, mit seiner Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels vom 14.10.2001 angestoßen hatte.

„In der Kontroverse über den Umgang mit menschlichen Embryonen berufen sich heute immer noch viele Stimmen auf Moses 1,27: Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn. Dass der Gott, der die Liebe ist, in Adam und Eva freie Wesen schafft, die ihm gleichen, muss man nicht glauben, um zu verstehen, was mit Ebenbildlichkeit gemeint ist. Liebe kann es ohne Erkenntnis in einem anderen, Freiheit ohne gegenseitige Anerkennung nicht geben. Deshalb muss das Gegenüber in Menschengestalt seinerseits frei sein, um die Zuwendung Gottes erwidern zu können. Trotz seiner Ebenbildlichkeit wird freilich auch dieser Andere noch als Geschöpf Gottes vorgestellt. Diese Geschöpflichkeit des Ebenbildes drückt eine Intuition aus, die in unserem Zusammenhang auch dem religiös Unmusikalischen etwas sagen kann."