Justus Köhncke – Doppelleben
01.02.2005

Justus Köhncke

von Christian Meyer

Doppelleben

Herz ausschütten ohne Rücksicht auf Verluste: das ist der rote Faden des dritten Soloalbums von Justus Köhncke. Der Elektronikmusiker ist vor allem durch die Kölner Disco-House-Band „Whirlpool Prod.“, mit der er in den 90er Jahren in Italien sogar einen Nummer-Eins-Hit landete, bekannt geworden. Inzwischen geht er Irmin Schmidt, ehemals Mitglied von Can, produktionstechnisch zur Hand und wandelt musikalisch unter seinem bürgerlichen Namen auf Solopfaden.

Das ergibt Sinn, denn es geht auf seinen Platten sehr persönlich zu. Das Cover zeigt sein fotografisches Portrait in einer fast schon aufdringlichen Nähe – dicht dran! Das gilt auch für die Texte: Auf „Doppelleben“ nimmt er in Herzensangelegenheiten kein Blatt vor den Mund. Stattdessen singt er: „da ist ein Abbild von Dir/ auf meinem Herz aus Papier“. Derlei simple, bildhafte Lyrik zu formulieren muss man sich erst mal trauen. Aber Köhncke nimmt keine Rücksicht auf Peinlichkeiten und Plattheiten und strebt eine Direktheit der Worte an, die einem Jochen Distelmeyer von Blumfeld in nichts nachstehen und bei „Alles Nochmal“ sogar exakt in dessen Intonation vorgetragen werden. „Ist Dein Herz/ auch Dein Gesicht?“. Wenn man das nur als „Pennälerlyrik“ aburteilt, dann missachtet man die rührende und berührende Offenheit und den Mut, sich damit verletzbar zu machen.

Das musikalische Pendant zu den Innerlichkeits-Texten ist einige Male leider nur betuliche Musik, die vom Schlager nicht allzu weit entfernt ist. Trotz Köhnckes musikalischem Hintergrund. Denn von der Clubmusik, von Disco, House und Techno kommt er. Seine letzten Maxis waren allesamt zwischen diesen Koordinaten angesiedelt, ließen allerdings auch diesen Hang zum Gefühlskitsch schon durchblicken: Das Stück „Weiche Zäune“, auf dem Album kunstvollere Schlagermusik, war auf der Maxi-Single noch eine Art Schlager-Techno: ein Doppelleben! Doch das Album hat mehr zu bieten: „Timecode“ ist sein letzter, euphorischer Clubhit, und das tolle „The Answer is yes“ und drei kleine instrumentale Intermezzi lassen Köhnckes Interesse an experimentellerer Musik durchblicken. Dass er auch diese Seite in sich hat, davon zeugt ein Album von Subtle Tease, seinem Projekt mit Kai Althoff von der Kölner Band Workshop aus dem Jahr 1997. Auf „Doppelleben“ sind die Kunstgriffe weniger exzentrisch, aber auch weniger spannend.