10.11.2008

Ein Erlkönig für das Museum

von Christian Meyer

„Und was hat das mit Goethe zu tun?“ Der Künstler Johannes Wohnseifer nimmt die potentielle Frage eines klassisch ausgerichtete Museumsbesuchers angesichts seines neuen Projekts ironisch vorweg. Wohnseifer steht vor einem Toyota „Hiace“. Die eine Seite ist mit schwarzer Folie beklebt, die andere ziert ein abstraktes Schwarzweissmuster. Wir befinden uns vor dem Haupteingang des Museum Ludwig in Köln, die Presse ist anwesend, das Laufpublikum guckt irritiert.

Der „Erlkönig“ ist eine Auftragsarbeit des Museums für ihr neues Werkstattauto, eine Schenkung von Toyota Deutschland an das Museum. Einige Wochen fuhr das Fahrzeug mit seiner Tarnung durch die Stadt, bevor es vom Künstler und vom Museumsdirektor persönlich ‚freigelegt’ wurde. Denn unter der vom Künstler gestalteten Tarnung befand sich eine weitere, wiederum zweigeteilte Arbeit: Auf der einen Seite groß das Logo des Museums, auf der anderen übergroß der Schriftzug „Toyota“. So groß, das davon nur noch „Yo“ übrig blieb. Wohnseifers Art, auf die Forderung des Autoherstellers einzugehen, der Name müsse groß auf dem Auto stehen.

  • Der Toyota "Hiace" vor dem Museum Ludwig

Wohnseifer hat es schon immer verstanden, Elemente aus unterschiedlichsten Kontexten auf eine Art miteinander zu kombinieren, die Irritation auslösen. Er bringt so statische Institutionen wie das Museum zum schwingen, wenn dieses zum Beispiel zum Skate-Parcours umfunktioniert wird, wobei Wohnseifers Skulpturen dem Skateboarder Mark Gonzales bei seiner Performance als Rampen dienten. Zum Schwingen bringt er auch bestimmte Ausstellungsprocedere, wie z.B. die einengende, weil stark reglementierte Aufgabe der Anfertigung eines Ausstellungskatalogs, die er auch schon mal dadurch umgeht, dass er stattdessen eine selbst kompilierte Schallplatte mit elektronischer Musik befreundeter Musiker als “Katalog” veröffentlicht, die in der Ausstellung aus einem geschlossenen Honda heraus zu hören ist (”Johannes Wohnseifer präsentiert Hondabeats”). Und eine produktive Respektlosigkeit zeigt sich auch, wenn eine ganze Ausstellung im Museum Ludwig ausdrücklich “Museum” mit Anführungszeichen betitelt wird, in der aber in Museumstradition Bilder an Wänden und Skulpturen auf Sockeln gezeigt werden, die man wiederum in einem Museum nicht unbedingt erwarten würde.

Die meisten Arbeiten Wohnseifers basieren auf dem Prinzip, dass leichtfüßig Bedeutungssysteme umgestülpt, gekreuzt und durcheinandergewirbelt werden. Das gilt auch für den Erlkönig, der nicht nur Wohnseifers ungewöhnliche Themenkombination „Museum“ und „Auto“ wieder aufgreift. Das Referenzsystem ist dicht und greift weit: Die schwarze Abklebung erinnert zumindest Autofans sofort an jene Erlkönige, die unter strenger Geheimhaltung auf öffentlichen Straßen getestet werden. Mit Goethe hat das in der Tat nichts zu tun. Die Gestaltung der zweiten Seite des Autos bezieht sich vielfältig auf Gemälde aus dem Bestand des Museums: Zum einen kreiert er durch Verschiebung, Drehung und Verzerrung seine Version eines Russischen Konstruktivismus. Zum Anderen rekurriert er darauf, dass Kubisten, aber auch Konstruktivisten im ersten Weltkrieg die sogenannte Razzle-Dazzle Tarnung für Schiffe entwickelt haben, ein Muster, das das Auge derart irritiert, dass es weder die Form noch die Fahrtrichtung eines Schiffes oder U-Bootes erkennen kann. Vielleicht liegt es in der Luft: Gerade hat Jeff Wall eine Yacht im Razzle-Dazzle-Stil gestaltet. Wohnseifer landet damit jedenfalls wieder bei den modernen Erlkönigen, die getarnt auf unseren Straßen kreuzen.