30.04.2008

Eine schöne Nacht des Automobils

von Eva Sietzen

'When things cast no shadow' unter diesem Motto steht die 5. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst, die gegenwärtig und noch bis zum 15. Juni in Berlin zu sehen ist. Eine Veranstaltungsreihe mit dem verheißungsvollen Namen "Mes nuits sont plus belles que vos jours", lädt des Abends zu einem Begleitprogramm in überraschende Berliner Lokationen.

in einer Art Diavortrag der Psychoanalyse des Automobils

So auch am 18. April, als die Brüder Erik und Harald Thys sich in einer türkischen Autowerkstatt nahe dem Schlesischen Tor, dicht am Wasser der Spree, in einer Art Diavortrag der Psychoanalyse des Automobils widmeten. Warme Kleidung war mitzubringen, und so saßen dann eng gedrängt 60 bis 70 Menschen umgeben von Werkzeugen und Apparaturen auf Bierbänken und lauschten dieser höchst ungewöhnlichen Präsentation.

Seit ihrer Kindheit verbindet die beiden aus Belgien stammenden Brüder eine geradezu besessene Liebe zum Auto. Und noch heute geht Harald jeden morgen als erstes ins Internet, um zu sehen, welches neue Automodell gerade herausgekommen ist. Der Vortrag habe auch etwas mit Deutschland zu tun, erklärt Harald Thys am Anfang, nicht zuletzt deshalb, weil die Brüder seit frühester Jugend deutsche Autozeitschriften lesen, sodass ihre Deutschkenntnisse ein wenig eingeschränkt sind auf Wörter wie ‚Beschleunigung’, ‚Armaturenbrett’, ‚Handschuhfach’, und ‚Scheibenwischer’.

Sie beginnen mit einem, wie sie sagen, sehr persönlichen Bild, es zeigt, das Auto, das ihr Vater einst besessen hat, einen Peugeot 602. Eine Art Urszene, zu vier Kindern haben sie hinten auf der Rückbank gesessen und deutsche Autozeitschriften gelesen. Das Auto hatte kein deutscher Wagen sein sollen, denn der Vater arbeitete in Frankreich, er wollte dort mit einem französischen Auto auftauchen, um zu zeigen, dass er dazu gehört, ein französischer Bürger war. Letztendlich hat sich der Vater selbst nie ganz wohl gefühlt in diesem Auto, es war ihm ein wenig zu chic, zu protzig. Nichtsdestotrotz verbinden die beiden Brüder gerade mit diesem ersten Automobil die intensivsten Erinnerungen. Und vielleicht suchen sie immer wieder nach diesem Urbild eines Autos.

  • Eine schöne Nacht des Automobils, ©
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Sie fanden bei ihrer Internetrecherche dieses Modell wieder in Dänemark. Offenbar hatte das dänische Militär einige französische Wagen für ihre Generäle angeschafft.

Und plötzlich tauchte der Peugeot 604, in Japan wieder auf, abgestellt ausgesetzt am Stadtrand von Osaka. „Wenn wir über Autos sprechen dann auch über den Kontext, in dem sie existieren oder leben“, so Harald Thys. Nun, in Japan werden Autos, die nicht mehr fahren, nutzlos geworden sind, ausgesetzt wie lästige Haustiere zur Ferienzeit. So kann man sehen, wie sie überleben. Sie freunden sich mit ihrer Umgebung an. In gewisser Weise gewinnen diese Autos so an Autonomie. Und, wie die Bilder zeigen, müssen sie einem nicht Leid tun, sie haben dort ein neues Leben, eine sehr entspanntes, relaxtes Leben begonnen. Einem Gerücht zufolge heißt es, dass es in Japan früher eine Tradition gab, alte Menschen in die Berge zu verbannen. In ähnlicher Weise werden heute dort die Autos, wenn sie ihre Dienste versagen, aufs Altenteil geschoben, abgestellt in der freien Natur und gehen, umwuchert von Pflanzen, eine innige Verbindung mit ihrer Umgebung ein. Es geht ihnen eigentlich recht gut. Sie sind nur alt, und es ist normal so auszusehen, wenn man alt geworden ist.

[...] der einiges von der speziellen autistischen, neurotischen Erhabenheit der französischen Ingenieurskunst offenbart.

Zurück zum französischen Auto

Es handelt sich hier um die nie enden wollenden Versuche Frankreichs, in die ‚Upper class’ der Automobil-Branche aufzusteigen. Eine Welt, in der bisher die deutsche Industrie beheimatet ist. Von Zeit zu Zeit versuchte man in Frankreich Autos zu konstruieren, die in der Automobilwelt den gleichen Rang haben, wie BMW, Mercedes usw. Der Talbot Tagora ist einer dieser Versuche, die nicht von Erfolg gekrönt waren. Es gab sogar eine besondere Ausfertigung, den Talbot Tagora ‚présidentielle’, doch kein Präsident wollte dieses Auto kaufen. Eine Ausnahme ist die ‚Monica’, nur 22 Exemplare sind von diesem Typ hergestellt worden.

Doch die meisten französischen Autos waren nicht sehr erfolgreich. Eines wurde sogar in besonderer Weise Opfer der deutschen Presse, als die Zeitschrift 'Auto Motor und Sport' ein fett über zwei Seiten gedrucktes „großes Mangelhaft“, für den Citroën XM vergab. Dies zeigt viel über die deutsch-französischen Beziehungen zu jener Zeit. Die Brüder Thys hatten große Erfurcht vor der besonderen Ausstrahlungskraft dieses Citroën, der einiges von der speziellen autistischen, neurotischen Erhabenheit der französischen Ingenieurskunst offenbart.

Ihre Einfälle waren auf geniale Weise ungeeignet für das tägliche Leben, aber dies auf einem so hohen ästhetischen Niveau, dass es den beiden Jungen großen Respekt einflößte.

Der Citroën XM hatte in der Tat ein Problem, es gab für den Kofferraum eine kleine Lampe, wenn man den Kofferraum öffnet ging sie an, wenn man ihn wieder schloss, ging sie jedoch nicht wieder aus. Folglich war am nächsten Morgen die Batterie leer. Es hat Jahre gedauert, bis der Fehler entdeckt wurde.

Das Design für diesen Citroën hatte Flaminio Bertoni entworfen.

Nun kommen die Thys-Brüder zur Vorstellung berühmter Autodesigner einer davon ist Walter Maria de’Silva, der den Audi 100 mit seiner gerühmten 'Windschlüpfrigkeit' zu verantworten hat. Die Räder waren zu klein in Relation zur Länge des Autos. Trotzdem ein sehr schönes Auto. Es folgen Bilder von diesen Autodesignern, Betrachtungen über die Physiognomie, die äußere Erscheinung dieser Personen. Giorgetto Giugiaro, Flaminio Bertoni und Claus Luthe, Designer für VW und BMW. Luigi Colani entwarf Modelle für Mercedes und BMW, wurde aber nie dafür bezahlt, die Gründe dafür veranschaulichen die Brüder Thys sogleich durch einige Bilder von seinen extravaganten Designs. Hysterische Modelle von dennoch bewundernswerter Schönheit.

Englische Autos, ein typisches Beispiel ist der Bentley, neigen oftmals dazu, die Errungenschaften der Technik hinter der Fassade des 18. Jahrhunderts zu verbergen. Sie treten auf mit einem gewissen aristokratischen Hochmut. Ein Stolz, der sich auch noch zeigt, wenn ihre äußere Gestalt infolge eines Zusammenstoßes Schaden genommen hat. Sie schauen, aus als wollten sie sagen, 'We are not amused', wie die Queen, nachdem ihr vor 10 Jahren einige unerfreuliche Äußerungen von ihren Untertanen zugetragen wurden.

Sie seien von einer ganz eigenartigen fragilen Schönheit, wie am Beispiel des Moskwitsch gezeigt wird.

Beim Thema osteuropäische Autos wiederum, geraten die Brüder in eine Art metaphysisches Schwärmen. Sie hätten zugleich etwas unglaublich Nobles und Einfaches an sich. Ihr Design, das reduziert ist auf das Notwendigste, weist zurück auf das Wesen des Autos. Eine Art von Entmaterialisierung und Spiritualität sei ihnen eigen. Sie seien von einer ganz eigenartigen fragilen Schönheit, wie am Beispiel des Moskwitsch gezeigt wird. “Er sieht modern aus ,aber er stammt von einer anderen Welt.“ Oder der Meduza, ein sehr hübsches, süßes Auto, mit einer bewunderungswürdigen Rückenansicht. Es scheint geradezu zu schweben. Oder aber der Esperance, ein polnisches Auto, das bei seinen Betrachtern, wenn es auf der Straße auftaucht, eine Freude verursacht, wie die Geburt eines kleinen Babys.

In einem der Psychoanalyse entlehnten assoziativem Verfahren, es geht den Thys Brüdern schließlich um nichts Geringeres, als um die Psychoanalyse des Autos, gleiten sie nun von der Betrachtung eines Bildes von zwei polnischen Autos verwandten Typs, die in einem kleine Museum vertraut beieinander stehen, über zu ihrem nächsten Thema, der Brüderlichkeit von Autos. Eine ganze Serie von Photos zeigt dieses Phänomen der verwandtschaftlichen Beziehung, die offensichtlich auch Autos haben können. Die beiden Brüder, von denen der eine, Harald, ein Künstler, der aktuell während der Berlin biennale mit einer aktuellen Video-Installation vertreten ist und der andere Erik Thys, Schauspieler, Komponist und Psychiater, sind fasziniert von diesem Thema der brüderlichen Beziehung zwischen Autos. Bilder vom älteren und jüngeren ‚Auto-Brüdern’, dem großen und kleinen Bruder, dicken und dünnen, die aussehen, als wollten sie sich sogleich auf dem Weg ins nächste Dorf machen, um sich zu amüsieren, wechseln einander in rascher Folge ab. Das Publikum wird damit auch Zeuge einer Art Selbstanalyse dieser beiden von Autos besessenen Brüder.

  • 7er BMW Thys-Brothers

Höhepunkt des Vortrags war ohne Frage die Geschichte ihrer ersten Begegnung mit dem BMW 7. Als sie diesen BMW zum ersten Mal sahen, sie waren noch Kinder, verschlug es ihnen schier die Sprache. Von einem Freund hatten sie das Bild bekommen und betrachteten es beim Essen, aber sie konnten nichts zu sich nehmen, so sehr waren sie von der Schönheit dieses Wagens hingerissen. Und sie beschlossen, auf den besonderen Wunsch eines kleinen gelben Teddybären, namens Tipke Leonardo, dieses Modell nachzubauen. Sie machten sich sofort an die Arbeit, Harald übernahm die Konstruktion der Karosserie aus Metall und Erik die Innenausstattung in echtem Leder! Das Ergebnis konnte sich sehen lassen, und Tipke Leonardo war sehr zufrieden, doch gab er sofort den Bau weiterer Autos in Auftrag.

Einen Art religiöse Verehrung erfüllt die Brüder, wenn sie von diesem BMW sprechen, insbesondere der zweiten 7er Serie (dem 750 BL), die von Carl Luthe designed worden ist.

Es geht den Brüdern um die Schönheit des Automobils, die ästhetische Erscheinung. Nie fällt eine Bemerkung zu der Leistungsstärke des Motors, zur Schnelligkeit der Beschleunigung etwa, die mit diesem oder jenem Typ zu erreichen wäre. Alles Dinge, die kleine Jungs doch sonst normalerweise sehr interessieren. Es geht auch nicht um neuere ökologische Themen, wie etwa die Höhe des Verbrauchs oder die Frage, aus welchen Antriebsenergien sich der Motor speist.

Vielleicht gibt es so etwas wie eine These, die während des Vortrags en passant immer mal wieder zum Ausdruck gebracht wird. Und die handelt vom allmählichen Verfall des handwerklichen Könnens, die die frühen Autoentwickler noch besaßen. Um die verloren gegangene Kunstfertigkeit der frühen Designer, während der Kindertage der Gebrüder Thys, also der späten 60er und 70er Jahre, wie sie sich zeigten in Modellen wie der Monica, BMW 7er Serie und dem Citroen BX. Während die Handwerkskunst die Ingenieure früher dazu veranlasste, an einem Prototyp immer und immer wieder zu feilen, eine lange Reihe von Entwürfen anzufertigen, wird heutzutage nicht mehr viel Energie in die Entwicklung des äußeren Erscheinungsbildes gesteckt. Die Tendenz geht hin zu einem abstoßenden, hässlichen und aggressiven Design.

[...] durch Schallisolierung gedämpft, ist man heutzutage regelrecht isoliert in seinem Gefährt.

Die moderne Brutalität des Autodesigns als Beispiel dient die neue S-Klasse von Mercedes, aber auch das letzte Modell der BMW 7er Serie mit seiner zur Schau getragenen Arroganz, Wichtigtuerei und Überheblichkeit nimmt übertriebene Rücksicht auf das erhöhte Sicherheitsbedürfnis der Kunden, und dies verändert das Außen / Innen Verhältnis auf problematische Weise. Die Insassen neueren Wagen sind von der Außenwelt extrem stark abgeschottet. Die Fenster dunkel getönt, die Geräusche der Außenwelt weitgehend durch Schallisolierung gedämpft, ist man heutzutage regelrecht isoliert in seinem Gefährt.

Um Autos während ihrer Testphase vor Spionage zu schützen, werden sie durch zusätzliche Umkleidungen getarnt, sie sehen beinahe aus wie Panzerfahrzeuge, diese Maskierung offenbare paradoxerweise etwas von ihrem wahren Charakter, so Harald Thys.

Düstere Aussichten also, die die Brüder Thys mitunter in ihrem ansonsten so enthusiastischen Vortrag einstreuen. Was das alles mit einer Ausstellung zur Kunst der Gegenwart zu tun hat? Nun abgesehen davon, dass es beim Autodesign immer auch um Ästhetik geht und damit um Kunst, um die Anordnung von Linien Formen und Flächen im Raum, wurden die Zuhörer auch auf äußerst unterhaltsame Weise eingeführt in die Wechselbeziehungen von Gestaltungsprinzipien und politischen Ideologien, nationalen Identitäten und Naturgewalten. Alles in allem eine durchaus schöne Nacht, in der die Dinge nur wenige Schatten warfen.

Die Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst läuft noch bis zum 18. Juni an drei Ausstellungsorten, dem KW Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69 10117 Berlin-Mitte, in der Neuen Nationalgalerie in der Potsdamer Straße 50, und dem Skulpturenpark Berlin_Zentrum, Kommandantenstraße / Neue Grünstraße in Berlin-Kreuzberg.

Öffnungszeiten der Ausstellung
Dienstag und Mittwoch 10–19 Uhr
Donnerstag 10–22 Uhr
Freitag 10–19 Uhr
Samstag und Sonntag 11–19 Uhr
Montags geschlossen

Parallel dazu werden auch weiterhin begleitende Abendveranstaltungen angeboten. Nähere Informationen finden sich unter www.berlinbiennale.de