27.02.2008

Karl Valentin - Filmpionier und Medienhandwerker

von Eva Sietzen

Eine Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau vom 25. Januar - 21. April 2008

Dieser Mensch ist ein durchaus komplizierter, blutiger Witz.
Bertold Brecht

Der Berliner Martin-Gropius-Bau widmet dem Wort-, Bild- und Tonkünstler Karl Valentin eine Ausstellung, die erste in Berlin, der Stadt, in der Valentin in den 20er Jahren seine größten Erfolge feierte.
Diese Ausstellung, die erstmals auch die Bestände aus dem Valentin Archiv in Köln Wahn mit einbezieht, möchte sich bewusst von dem Image Karl Valentins als regional (bayrisch) geprägten Volkssänger und Bühnenkomiker entfernen und anstelle dessen den komplexen Medienbezug in seinem Werk betonen. Die These der beiden Ausstellungsmacher Klaus Gronenborn und Matthias Knop lautet, der gelernte Schreiner war und blieb Zeit seines Lebens vor allem ein ‚Medienhandwerker’. Würde er heute leben hätte er sicherlich immer die neueste Version von Photoshop auf dem Rechner, das neueste Update von iTunes, und das aller ausgefeilteste Audio- oder Video-Schneideprogramm zur Herstellung seiner Hörspiele und Filme.

Ihnen ist scheint’s das Sprichwort: ‚Mit Kleinem fängt man an, mit Großem hört man auf’ unbekannt.
Die Berufsberatung

Zickzacklebenslauf
Der 1882 geborene Valentin Ludwig Fey besucht nach einer Schreinerlehre eine Varietéschule, übernimmt dann aber nach dem Tod des Vaters zunächst für einige Jahre die elterliche Speditionsfirma, die 1906 verkauft wird.
Unter dem Namen Charles Fey geht er 1907 mit einer selbst gebastelten Musikmaschine, dem „Lebenden Orchestrion“ auf Tournee. Er legt Wert darauf festzustellen, dass es sich hierbei nicht um einen Automaten handelt, nahezu 20 Instrumente werden gleichzeitig von ihm in Gang gesetzt. Der Körper als Teil einer Maschine. Völlig mittellos kehrt er nach wenigen Monaten nach München zurück. Er schlägt sich zunächst als Zitherspieler durch, gegen Kost und Logis in dem Gasthaus ‚Stubenvoll’.
Erfolg hat er erst, als er selbstverfasste Couplets und Monologe vorträgt, dabei seinen Körper, die lange hagere Gestalt, als Markenzeichen einsetzt. Nach dem Solovortrag „Das Aquarium“ , einem linguistischen Kunstwerk, bei dem er sich in dem Bemühen, das Aquarium in Abgrenzung zum Vogelkäfig zu definieren, hoffnungslos in den Fallstricken der deutschen Sprache verheddert, erhält Valentin 1908 sein erstes festes Engagement an der Volkssängerbühne im ‚Frankfurter Hof’. Dort begegnet er 1911 Liesl Karlstadt, seiner langjährigen Bühnenpartnerin.

Technikfreak

Schon früh hat er sich mit den Widernissen der damals neuesten Medientechnik wie dem Telefon, Film, Rundfunk sprachlich und schauspielerisch auseinandergesetzt. Das Telefon war kaum erfunden, und schon verarbeitete er das Thema 1902 in dem Solo-Theaterstück ‚Der Telefonschmerz’. Valentin präsentiert mit Hilfe von Stimmenimitationen einen Querschnitt der Münchener Bevölkerung, Missverständnisse, fehlgeleitete Vermittlungen, Unterbrechungen sind das Thema dieses aus Couplet-Strophen und Prosapassagen komponierten frühen Manuskripts. Wieder aufgenommen hat er dieses Thema mehrfach, so u.a. in einem der bekanntesten Dialogstücke, dem ‚Buchbinder Wanninger’ von 1940. Dort wird der verzweifelte durch endlose Warteschleifen und falsche Weitervermitt-lungen aufgeschobene Versuch geschildert, per Telefon eine Anfrage an die ‚zuständige Person’ zu richten. Das Ganze endet schließlich nach dutzendfachem immer verhaspelter werdendem Wiedervorbringen seines Anliegens in einem Fiasko, als die endlich erreichte richtige Ansprechpartnerin erklärt, nun sei Büroschluss, er möge am folgenden Tag wieder anrufen.

Der erste deutsche Tonfilm

Durch exzessiven Einsatz von Requisiten, die er gemeinsam mit dem Bühnenmeister Rankl meist selbst anfertigt, schafft er Tableaus, die in ihrer Komposition an Filmszenen erinnern. 1912 gründete er eine eigene Filmgesellschaft. Im selben Jahr - noch vor Chaplins Regiedebüt - entsteht sein erster Film ‚Valentins Hochzeit’. Hierfür hat sich Valentin von seinem Tischler ein Holzpodest schreinern lassen, mit einfachsten Mitteln eine recht wacklige Kulisse konstruiert, und produziert unter freiem Himmel mit ein paar Volkssängerkollegen seinen ersten Film. Es ist die Zeit des Stummfilms. Als der Tonfilm in Deutschland noch kaum bekannt ist, experimentiert Karl Valentin auch schon auf diesem Gebiet als Medienkünstler. Er inszeniert zu seinem Film ‚In der Schreinerwerkstätte’ eine Live-Ton Performance: Während der Film läuft, lärmen, sägen und streiten sich Liesl Karlstadt und Karl Valentin hinter der Leinwand und erzeugen so für die Zuschauer unsichtbar den ‚ersten deutschen Tonfilm’.

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Mit jedweder neu auf kommender Technik setzte sich Valentin flugs auseinander, so auch mit der Fliegerei. 1909 schreibt er das Soloprogramm, „Wenn die Menschen fliegen könnten“, später dann, 1928, folgt das Theaterstück ‚Der Flug zum Mond im Raketenschiff’. Hierzu verfasst er die aufwendigste Bühnenkonstruktion und detaillierte Regieanweisungen, die Filmprojektionen auf der Bühne vorsehen und eine Backstage Tonwerkbank hinter der Bühne. Die Rakete knattert, Flug über München, Bordgespräch Pilot mit Copilot, Mondanflug, Blitzschlag, die III. Szene lautet: ‚Absturz auf der Bühne’

Auf der Bühne präsentiert Valentin bis 1915 ausschließlich Monologe und Couplets, ein Genre, das er durch surreale Sprachspiele und lautmalerische Nonsens-Poesie verfremdet.
Liesl Karlstadt beginnt bereits 1919 mit ersten Schallplattenaufnahmen im Trichterverfahren, hier folgt ihr Karl Valentin erst 1928 nach. Parodistisch setzt er sich immer wieder gern mit den neuen Medien auseinander. Mit ‚Im Senderaum’ von 1925 persifliert er die Tücken der Technik eines Rundfunkstudios, der Bühnensketch ‚Im Schallplattenladen’, eine lustvolle Destruktion der bürgerlichen Musikkultur, entsteht zeitgleich mit seinen frühen Schallplattenaufnahmen.

Ein Höllentanz der Vernunft um beide Pole des Irrsinns.
Kurt Tucholsky

Der Bildersammler
Photographiert hat Karl Valentin selbst kaum, aber er hat sich auch mit diesem Medium ausgiebig auseinandergesetzt. Zunächst, indem er sich selbst auf Photographien als Dandy inszeniert, dann indem er vorhandene Aufnahmen von seinen Aufführungen im ‚Frankfurter Hof’ ummontiert, retouchiert, Personen nachträglich einfügt. Er legt sich eine umfangreiche Sammlung von Photographien und Ansichtskarten aus Altmünchen an. Seine seit Mitte der zwanziger Jahre zusammengetragene lückenlose Bilderchronik aller Münchener Volkssänger, die Sammlung von Karikaturen und Bildergeschichten des ‚Münchener Bilderbogens’ dient ihm schließlich dazu, eine Art vorfilmisches Gebärdenarchiv zusammen zu stellen. Gesten, die Affekte wie Wut, Trauer und behäbige Selbstzufriedenheit ausdrücken, werden detailgetreu inventarisiert.

Panoptikum

In einem Panoptikum „Grusel- und Lachkeller“ schließlich, in das er und Liesl Karlstadt beinahe ihr gesamtes Vermögen stecken, werden 1934 Dialoge, Szenen aus Theaterstücken und Filmen quasi mortifiziert, der Sprachwitz mit Hilfe von Gegenständen plastisch sichtbar gemacht und Redensarten in Objektform festgehalten. Eine Art begehbares Gesamtkunstwerk entsteht, das jedoch vom Publikum nicht angenommen wird. Das ganze Unternehmen scheitert grandios und führt zu einer zeitweiligen Trennung von Liesl Karlstadt.

Der is’ nur durch Projektion in das Theater rein gekommen.

Die Ausstellung zeigt in vier Sälen, die am Anfang und Ende des Durchgangs ergänzt werden durch je einen Filmvorführsaal, in denen der Großteil des Valentinschen Filmschaffens gezeigt wird, vor allem Photodokumentationen, Photocollagen und Potpourris aus der Schaffenszeit von Karl Valentin und Liesl Karlstadt, oftmals von den beiden selbst erstellt. Gezeigt werden ferner Reproduktionen von Ankündigungsplakaten, Zeitungsartikeln, Original-Handschriften, von Monologen und Typoskripte mit Regieanweisungen von Karl Valentin. Schließlich Nachbauten der Kulissen, Staffagen, Bühnenrequisiten, sowie die berühmten ‚Lichtbilder’, eine Art früher Dias, an die Wand projezierte Zeichnungen oder kurze Texte mit Parodien auf Produktwerbung, die hauptsächlich von ihrem Wortwitz leben. So z.B.

„Obacht! Während der nun folgenden 15 Minuten dauernden Lichtbildervorführung darf heut’ Abend drei Tage lang nicht geraucht werden.“

Die Betrachter, die sich in diese z,T, anrührenden Exponate versenkt, werden - oft nicht ungern - abgelenkt durch eingespielte Tonaufnahmen seiner Dialoge, wie z.B. ‚Berufsberatung’, oder den berühmten ‚Semmelnknödeln’. Es ist dieser zurückgenommene, gleichmütige, warme Klang der Stimme Karl Valentins, der den Betrachter immer wieder ablenkt von den Ausstellungsexponaten, darüber lagern sich die gesprochenen Dialoge aus den Filmen, die aus den beiden Filmvorführräumen dringen, immer wieder unterbrochen von explosionsartigem Zuschauer-Lacher.
Die Ausstellung als multimediales Erlebnis belegt die Ausgangsthese von Valentin als einem Medienhandwerker recht plausibel, doch fragt man sich am Ende, ob es nicht doch das Medium Sprache ist, die immer wieder misslingende Kommunikation der Menschen, das den Grundton des Valentinschen Schaffens ausmacht. Sich selbst hat Valentin als „Sprechmaschine“ bezeichnet. Seinen Briefkopf schmückte eine zeitlang eine Zeichnung der Karikaturistin und Simplizissimus-Mitarbeiterin Franziska Bilek, auf der Valentin als Autor inmitten einer Apparatur zu sehen ist. Auf einer Endlos-Papierrolle schreibt er zugleich für alle vier Medien, drei Sekretärinnen werden zeitgleich beschäftigt, um die Gedankenblitze festzuhalten. Unterschrieben ist das Ganze mit „Schriftsteller für Bühne, Film, Zeitung, Rundfunk, usw.“

  • Schriftsteller für Bühne, Film, Zeitung, Rundfunk, usw.

Sein Witz lebt von den Fallstricken der Bedeutung der Worte, sein exzessiv betriebenes ‚Wörtlichnehmen’, seine an scholastische Distinktionen erinnernde Spitzfindigkeit, mit der er logische Ungereimtheiten der Sprache vorführt.
- „Ich sehe, dass er nicht da ist.“ Wie man denn sehen könne, dass jemand nicht da ist, obwohl man ihn doch gerade nicht sehn kann, wenn er nicht da ist. Seine Genialität im Umgang mit der Sprache, die auch unheimliche Züge hat, haben Bertold Brecht und Kurt Tucholsky schon früh beschrieben.
Brecht, der zusammen mit Valentin auf dem Oktoberfest aufgetreten ist und mit ihm den surrealistisch inspirierten Film „Die Mysterien eines Frisiersalons“ gedreht hat, schrieb im Oktober 1922: „Dieser Mensch ist ein durchaus komplizierter, blutiger Witz. Er ist von einer ganz trockenen, innerlichen Komik, bei der man rauchen und trinken kann und unaufhörlich von einem innerlichen Gelächter geschüttelt wird, das nichts besonders Gutartiges hat.“

Kurt Tucholsky: „ein Höllentanz der Vernunft um beide Pole des Irrsinns.“

Die Schauspielerin Hanna Schygulla schreibt in einem fiktiven Brief an Karl Valentin:“... unermüdlich in deinem wahnsinn zeigst du auf den bruch zwischen ich und welt und die babylonische sprachverwirrung, die daraus entstanden ist. Immer wieder machst du uns überdeutlich vor das aneinandervorbeireden - das nebeneinanderherreden - das einfach so vorsichhinreden - das irgendetwas daherreden....; du zeigst wie das denken der sprache davon läuft oder wie die sprache dem denken davonläuft. Du spielst mit begriffen du klebst am wort. Die ideen fliehen mit dir. Die namen tauchen vor dir weg. (...)
er ist beharrlich im erfinden von unmöglichkeiten, genial im ausklügeln von gefahren und schleppt an der last von hypothesen / er bindet sich schwere steine an sein fahrrad, für den fall von gegenwind, damit er dann leichter vorwärts kommt / den karren, den er schiebt, lässt er zugesperrt, zur sicherheit, weil er schon mal gestohlen worden ist / zum photographieren legt er sich quer auf den boden und das brautpaar dazu, um die beiden einigermaßen ins bild zu bekommen/ beim zitherspielen kann er nicht mehr aufhören, weil zum schluß des liedes ein refrain steht / im stadion wartet er schneller und schneller auf ein spiel, das gestern gelaufen ist / und die brille, die er sucht kann er nicht finden, weil er ja, um sie zu finden, die brille bräuchte (...)“

Zum Schluss sei noch einmal Karl Valentin selbst das Wort gegeben:

"Des is wia bei jeda Wissenschaft, am Schluss stellt sich dann heraus, dass alles ganz anders war."