15.07.2005

"Wir sind im Bild, und wir sind Teil davon."

von Eckhard Fürlus

Ein Gespräch mit Ulrich Domröse über die Ausstellung "Moses Möglichkeiten" von Catrin Otto in der Berlinischen Galerie.

Gleichzeitig wirft die Künstlerin mit dieser Arbeit einen Blick auf den menschlichen Entwicklungsprozeß und spannt einen Bogen von der Befreiung des Volkes Israel aus der Gefangenschaft in Ägypten bis hin zu Versatzstücken unseres gegenwärtigen Medienzeitalters.

Am 15. Juli 2005 wurde im Landesmuseum Berlinische Galerie als vierte Ausstellung im Experimentierraum jetzt | now eine Ausstellung mit einer Installation der Fotografin Catrin Otto eröffnet. "Moses Möglichkeiten" ist der Titel dieser großen, streng gegliederten Arbeit, die eigens für diesen Raum geschaffen wurde. "Moses Möglichkeiten" ist ein Spiel der Künstlerin mit Alltagsgegenständen wie Hacken, Harken, Schraubzwingen, Schüsseln, einem Hometrainer, Schulstühlen, Flaschen und Bechern und mit deren metaphorischer Bedeutung. Gleichzeitig wirft die Künstlerin mit dieser Arbeit einen Blick auf den menschlichen Entwicklungsprozeß und spannt einen Bogen von der Befreiung des Volkes Israel aus der Gefangenschaft in Ägypten bis hin zu Versatzstücken unseres gegenwärtigen Medienzeitalters.

Ausgangspunkt dieser Arbeit ist eine große, vierteilige Fotografie. Wir sehen ein geordnetes Durcheinander. Oder ein aufgeräumtes Chaos. Auf der linken Bildhälfte ist eine schematische Badewanne in einer Aufsicht zu sehen, darin ein Bastkörbchen mit einem Ultraschallbild von einem Fötus. Ausgangspunkt menschlichen Lebens. Auf der rechten Hälfte sind rote Buchstaben von verschiedener Größe, die in ihrer Unordnung keinen Sinn ergeben. Von hier aus gelangt der Betrachter irgendwann zur fotografischen Darstellung eines in einer Ecke kauernden Mannes; in seinem Schoß hält er mit seinen Händen die Auslegware Bastimat, die sich im ganzen Raum in schmalen und breiten Bahnen verteilt und die mit ihrem Namen und ihrem Muster eine Anspielung darstellt auf den Bastkorb, in dem Moses nach alttestamentlicher Überlieferung als Säugling aufgefunden wurde.

Ulrich Domröse, der Kurator der Ausstellung "Moses Möglichkeiten", schreibt über die Arbeiten von Catrin Otto: "Ihre Bilderfindungen (...) geben keine eindeutige Lesart vor: Handelt es sich bei dem Bild mit Decke, Stuhl und Napf um die Isoliertheit und die Drangsal in einem Gefängnis, oder meint dieser Raum den Zustand des Schlafes, bei dem sich dem Schläfer im Traum die Tore seines Unterbewußtseins weit öffnen? Ist der sitzende Mann ein Symbol für die Isoliertheit des Menschen, oder sitzt da jemand, dessen inneres Auge bewußt nach Dingen jenseits des sichtbaren Horizontes sucht? Damit wird klar, daß Catrin Otto den Raum aus zwei unterschiedlichen Perspektiven ansieht: als äußeren Handlungsraum für gesellschaftliche Vorgänge und als inneren Raum für die körperlich-seelische Verfaßtheit des Einzelnen. Darin ist sie den künstlerischen Auffassungen von Roberto Matta und Gordon Matta-Clark verwandt."

Wie sehr bestimmen Regeln und Werte die Entwicklung des Menschen? In wie weit ist er ihnen unterworfen? Die Installation von Catrin Otto wirft Fragen auf. Fragen nach Wirklichkeit und Möglichkeit der Freiheit. Fragen nach Willensfreiheit und Prädetermination. Nach Bedingungen und Möglichkeiten des Menschen, nach Selbstbestimmung und Fremdbestimmung, nach Innenwelt und Außenwelt, nach Abbild und Wirklichkeit, Realität und Fiktion. Aber sie hält auch Einsichten und Erkenntnisse bereit und ist eine Aufforderung an den Betrachter, seine eigene Position zu erkennen und zu definieren.

  • Moses Möglichkeiten, ©
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Eckhard Fürlus: "Wie kam es zu dieser Ausstellung mit der Installation von Catrin Otto? Von einer Fotografie, von einer Foto-Arbeit, von einer reinen Foto-Arbeit scheut man sich zu sprechen, denn es ist eine Installation mit Fotografie. Wie kam es zu der Präsentation und zu der Zusammenarbeit mit der Künstlerin?"

Ulrich Domröse: "Ich kenne Catrin Otto jetzt sieben Jahre. Im Rahmen der Künstlerförderung habe ich ihre Arbeiten kennengelernt und habe immer ganz positiv reagiert auf ihre Arbeit mit Alltagsgegenständen. Daß sie Alltagsgegenstände zum Stellvertreter macht für Sinngehalte. Früher waren das sehr biographische Arbeiten. Und dann habe ich eine Arbeit von ihr gesehen im Sprengel Museum Hannover. "flach_legen" hieß die. "flach_legen" habe ich dann gekauft für die Berlinische Galerie und habe ihr mit diesem Raum jetzt | now, der ein Experimentierraum ist, in den wir Künstler einladen, in diesem Raum für diesen Raum zu arbeiten, gesagt: 'Das ist er, der Raum. Und damit können Sie machen, was Sie wollen." Das heißt, sie hatte den Raum zur Verfügung. Es gibt ein Eröffnungsdatum, aber was sie darin macht, war ihr vollkommen freigestellt. Das heißt: auch ich wußte vorher nicht, was sie darin entwickeln würde. Ich kannte nur ihre Arbeit, finde die sehr interessant, finde dieses Gebaute, das da in Photographie übersetzt wird – und Photographie ist Endresultat, das ist ja so etwas, was Thomas Demand zum Beispiel auch macht – und diesen direkten Bezug zu den Gegenständen immer schon interessant, weil ich selbst Kontakt habe zu Gegenständen und Gegenstände mir etwas bedeuten."

Eckhard Fürlus: "Die Arbeit habe ich damals auch gesehen und fand sie faszinierend. Und auch verstörend, weil man mit etwas konfrontiert wird, was man so noch nicht gesehen hat. Es ist eine völlig neue Situation, in der man als Betrachter steht. Und insofern fand ich auch deinen Hinweis gut, daß wir als Besucher Teil dieser Installation sind. Das ist ein Eindruck, der bleibt. Und zu Anfang war es für mich nicht ganz einfach, diese Ausstellung zu betreten, weil man dann auf das Kunstwerk tritt. Da gibt es dann doch eine innere Scheu. – Du hattest erwähnt, daß in ihren Arbeiten immer auch Humor ein ganz wichtiges Element ist. Gilt das für ihre anderen Arbeiten auch? Zieht sich das wie ein Faden durch ihr Werk?"

Ulrich Domröse: "Sie hat diesen Humor. Ob er sich wie ein Faden durch das Werk zieht, kann ich nicht sagen. Ich habe es damals so kennengelernt mit einer Arbeit, die sehr biographisch angelegt war, und ich finde dieses Vermögen, über sich selbst lachen zu können, sich selbst sozusagen mit Distanz anzugucken, mit dem, was man tut oder was man läßt und was man so für Fehler macht, wenn man diese Fähigkeit hat und das wie sie jetzt hier in ein Kunstwerk mit hineinholt, indem sie letztendlich natürlich auch über ihr Leben spricht, über ihre Möglichkeiten, über ihre Erlebnisse der letzten Zeit – das steckt in "Moses Möglichkeiten" mit drin, ganz sicher – dann finde ich, ist das nicht nur Ironie, das ist wirklich auch Humor, und ich finde gerade bei Frauenarbeiten ist das etwas ganz wichtiges, weil sehr viele Frauen ihre Arbeiten so ernst nehmen, und dieses Humorige, was sowieso eine Seltenheit ist, da vielleicht noch seltener anzutreffen ist."

Eckhard Fürlus: "Neben diesem Humor, neben diesem Humorbegriff gibt es ja auch den Hinweis auf das Alte Testament. Und es gibt eine Arbeit von Catrin Otto, wo sie ein Zitat aus dem Koran im Titel verwendet. Die Affinität zu religiösen Dingen scheint in ihrem Werk des öfteren präsent zu sein und ist vielleicht auch ein Teil ihrer Arbeit?"

Ulrich Domröse: "Ich würde nicht sagen zu religiösen Dingen, sondern zu grundsätzlichen archetypischen Lebensfragen, die ja in der Bibel, im Alten Testament, behandelt werden auf eine ganz komplexe und komplizierte Art und Weise. Ich denke, sie benutzt sie, um einen Anknüpfungspunkt zu haben an diese grundsätzlichen Fragestellungen im Leben. So herum würde ich das sehen. "Moses Möglichkeiten" heißt in dieser Arbeit: die Möglichkeiten des Menschen. Das ist so eine komplexe Fragestellung, und dafür muß man als Künstler eine Form finden. Ich glaube, ihr hat dieser Gedanke immer gefallen, daß da ein Baby in einem Bastkörbchen ausgesetzt wird – ausgesetzt wird, damit es nicht getötet wird –, und daß die ersten Schritte hinein sind in eine Kultur. Schon als Kind. Wie wir wissen, geht das schon im Mutterbauch los, schon in den neun Monaten der Schwangerschaft. Das heißt, daß ein Mensch mit einer Umwelt konfrontiert wird und das miterlebt, was die Mutter erlebt, und daß es selbst etwas davon aufnimmt. Dieser Gedanke mit einem Bastkörbchen, wie ein Schiff, frei die ersten Lebensmomente oder die ersten Lebenstage – in diesem Falle die ersten Lebensstunden – zu erleben, das, glaube ich, hat ihr daran als Bild gefallen, weil sie natürlich eine Form brauchte, wie sie mit ihrer Diskussion und Darstellung von Gegenständlichkeit uns diese Gehalte, diese Inhalte präsentieren will. Das ist natürlich ein wunderschönes Bild. Davon ableitend nimmt sie dann dieses Material, nämlich Bast, und baut Wege, die uns auch im Sinnlichen aus dem konkreten Bild heraus und in den Raum führen. Dabei entsteht diese Dreidimensionalität, von der du sprichst. In dieser Arbeit werden wir, allerdings zum ersten Mal, Teil des Bildes. Denn alle ihre anderen Arbeiten waren ja zweidimensional. Die sind noch nicht in den Raum gegangen. Hier ist es ja zum ersten Mal, daß sie den Raum unmittelbar mit hinein nimmt. Bei "flach_legen" sind es sechs große Bilder, die auf dem Boden liegen."

Eckhard Fürlus: "Aber es sind auch die Stühle dabei."

Ulrich Domröse: "Das stimmt. Aber das, denke ich, meint nicht so sehr den Raum, sondern das meint mehr dieses Spiel zwischen Bild und Abbild, zwischen Wirklichkeit und Fiktion. Daß sie da etwas in die Realität mit hinein holt, was sie auf der anderen Seite im Bild verarbeitet. Das meint noch nicht den Raum. Mit dieser Arbeit ist sie erstmalig wirklich den Schritt in den Raum, in die Dreidimensionalität gegangen."

Eckhard Fürlus: "Du sprachst gerade von den Gegenständen. Und als ich vorhin den Raum betrat, hatte ich zunächst den Eindruck, es gibt keine Menschen zu sehen auf ihren Fotografien. In der Malerei spricht man von anthropofugaler Malerei, wenn Menschen auf den Bildern nicht vorhanden sind. Hier ist es so: es ist ein Fötus auf dem Bild zu sehen und ein Mensch, der auf einem Stuhl sitzt, abgebildet in einer bestimmten Lebenssituation. Es sind gleich zwei Personen im Werk. Die eine Personen steht vermutlich für den Betrachter selbst. Er identifiziert sich mit dieser Person. So wie er vor dem Bild steht, so ist auch diese Person in dem Bild."

Ulrich Domröse: "Ich denke, es meint ganz allgemein den Menschen. Der Fötus, der die Evolutionsgeschichte erzählt, so, wie ein Kind heranwächst im Mutterbauch, und der dann wieder auftaucht als erwachsener Mann, ist stellvertretend für Mensch ganz allgemein. Dieser Mensch, der da sitzt auf der Erde, der sitzt nicht auf dem Stuhl, der kauert in einer Raumecke auf der Erde, soll – denke ich – einfach den Bogen spannen, mit der sie die Möglichkeit sieht, auf der einen Seite die Grundgeschichte ihrer Arbeit auf eine Spur zu legen, nämlich Fötus – Evolution, und auf der anderen Seite, dicht daneben legen, mit den Buchstaben auch die Entwicklung von Kultur und Sprache und die Rückwirkung wiederum von Sprache auf die Kultur, von der ausgehend, weil es das Zentrum des Bildes ist – das wird jeder sehen, der sich die Arbeit anguckt – man sozusagen herangeführt wird an die metaphorische Bedeutung der Gegenstände, die da herumgruppiert sind."

Eckhard Fürlus: "Deshalb ist vermutlich auch das erste Wort, mit dem man konfrontiert wird, wenn man den Raum betritt, ASK. Frage. Oder: Fragt. Das kann man ja auch als Plural lesen. Dann gibt es mehrere Verweise auf die Kunstgeschichte und eben auch auf die Filmgeschichte. In der Kunstgeschichte – du hattest vorhin von René Magritte gesprochen ..."

Ulrich Domröse: "Genau."

Eckhard Fürlus: "... aber ich denke, es ist auch unübersehbar durch Fötus und diese Person in dem Raum, daß hier eine Anspielung gemacht wird auf den Film '2001 – Odyssee im Weltraum' von Stanley Kubrick. Der letzte Teil, die letzte Sequenz, wo ein Fötus zu sehen ist sowie eine Person in einem Raum mit diesem durchscheinenden oder durchleuchtenden Fußboden, ein Mann, der im Alterungsprozeß dargestellt wird. Und ich glaube, das ist ganz bewußt gemacht. Das kommt nicht von ungefähr."

Ulrich Domröse: "Ich weiß, daß sie Filme liebt. Darüber haben wir nicht gesprochen. Ich kann dir gar nichts dazu sagen. Es erscheint mir aber ganz sinnfällig, was du erzählst. Das kann sein. Ich kann nicht sagen ob das so ist. Ich denke schon, daß sie das im Kopf gehabt hat."

Eckhard Fürlus: "Spielräume und konstruierte Räume – dazu wüßte ich gern noch etwas mehr. Es ist ja nicht nur Spiel, sondern es ist auch Arbeit. Darauf verweisen die Arbeitsgeräte. Und es ist ja auch diese Bipolarität im Werk angesprochen und in dem, was du gesagt hast. Diese Zweischneidigkeit hinsichtlich des ausgestellten Materials. Die Schraubzwinge als Werkzeug, als Organon, und eben auch als mögliches Folterinstrument. Es hat etwas Bedrohliches, es hat aber auch etwas, das den Menschen weiterhilft."

Ulrich Domröse: "Das schätze ich an dieser Arbeit so sehr, daß die Dinge, die sie uns mitteilt, alle nicht eindeutig sind, sondern sie lassen unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten zu. Das heißt, die metaphorische Bedeutung der Gegenstände – jeder Gegenstand ist von uns besetzt, weil wir sie täglich gebrauchen. Alltagsgegenstände. Gerade die sind besetzt, weil wir sie gebrauchen. Und dadurch entwickelt sich für jeden von uns ein Zugriff auf das Werk, der nicht von vorn herein klar macht: Aha, sie meint uns jetzt für diese Frage von Kultur, für die Rolle und Bedeutung von Kultur für das menschliche Leben, das heißt für unsere Möglichkeiten, uns in diesem Leben zurechtzufinden, einmal mit dem, was wir mitbekommen, durch unser genetisches Potential, das wir vererbt bekommen, und auf der anderen Seite durch das, was wir lernen in der Kultur, von unseren Eltern, von der Schule und im Laufe des Lebens weiter, ohne Ende, welche Möglichkeiten wir haben, unseren eigenen Weg zu finden. Und dafür spielen diese Alltagsgegenstände eine große Rolle, und ich schätze, daß man auf ganz unterschiedliche Arten von Interpretationen kommt. Sie gibt keine eindeutige Lesart vor, weder bei den einzelnen Gegenständen, noch bei den Bildern. Die vier Bilder, die neben dem Zentralbild im Raum angeordnet sind, lassen ganz unterschiedliche und gegensätzliche Interpretationen zu. Und das schätze ich sehr."

Eckhard Fürlus: "Gibt es Arbeiten von Catrin Otto, die auch im herkömmlichen Sinne für's Wohnzimmer gemacht sind oder die man in Galerieräumen an die Wand hängen kann, oder sind es immer Installationen?"

Ulrich Domröse: "Es sind immer Installationen. Sie hat immer, schon als Studentin, angefangen, installativ zu arbeiten. Das waren erst kleine Bodenarbeiten in der Größe von ein Meter fünfzig mal ein Meter fünfzig und einen Meter hoch. So etwas hat sie gemacht. Sie hat zum Beispiel einen Turm gebaut. Installationen. Aber die Bilder, die immer auch Teil ihrer Installationen sind, die könnte man sich auch vorstellen in einem mittelgroßen Raum. Dafür braucht man nicht ein Museum. Bei dieser komplexen Arbeit "Moses Möglichkeiten" braucht man schon ein Museum, und vor allem geht diese Arbeit nicht ohne dieses installative Moment, ohne dieses Raumgreifende. Aber soweit ich sie kennen, hat sie von Anfang an sich konkret auf einen Raum bezogen. Es war immer ein konkreter Raum. Der Atelierraum, in dem sie experimentiert hat, später ein Galerieraum, wohin sie eine Einladung hatte von einem Kunstverein, eine Ausstellung zu machen, später im Sprengel Museum Hannover, jetzt hier bei uns. Ihr Denken – neben dem, was ihr sowieso durch den Kopf geht und was sie beschäftigt, wenn sie eingeladen wird – ist ganz unmittelbar auf den konkreten Raum ausgerichtet. Darauf bezieht sie die Maße, die Maßverhältnisse der Werke, sogar die Materialien. Sie läßt sich davon natürlich anregen. Bei der Arbeit 'flach_legen' ist das ganz deutlich."

Eckhard Fürlus: "Es gibt – du hattest das vorhin erwähnt – mehrere Möglichkeiten, eine Perspektive einzunehmen in ihrer Arbeit. Du sagtest, es gibt einen menschlichen Blick darauf und es gibt diesen Blick von oben. Das ist der Blick, den man einnimmt, wenn man der großen Fotografie, die aus vier Teilen besteht, gegenübersteht. Man guckt aber nicht nur von oben, sondern man sieht einige Sachen auf dem unteren Teil des Bildes. Und das wäre der Boden, könnte man annehmen, wäre da nicht die Badewanne im hinteren Teil. Also Verunsicherung, wohin man blickt. Die Verunsicherung beginnt ja schon beim Betreten des Raumes. Darf man auf die Sachen treten oder darf man es nicht? Catrin Otto hat gesagt, das ist Auslegware. Das soll man betreten. Das war ihr wichtig. Was mir daran gefällt – der Titel beinhaltet es ja auch – es sind sehr viele Möglichkeiten auch für den Betrachter, sich selber zu verorten und zu versuchen, mit dieser Vielschichtigkeit umzugehen. Sich zu positionieren. Und herauszufinden: Ist das nun Mikrokosmos – der Fötus in der Badewanne – oder, das Ganze für sich genommen, Makrokosmos? Es wird ja eine Entwicklungsgeschichte erzählt nicht nur durch den Fötus und der Person, die da in der Ecke kauert, sondern es wird eine Entwicklungslinie gezogen durch das, was sie gesagt hat. Der Mensch wird in etwas hineingeboren, das nicht von ihm ist. Sondern es ist eine Entwicklungsgeschichte. An irgendeiner Stelle wird man geboren, und man muß mit dem umgehen, was da ist. Und diesen Aspekt spiegelt diese Arbeit auch. Aber daraus ergibt sich für mich keine Frage, sondern es ist lediglich eine Feststellung."

Ulrich Domröse: "Eine Beantwortung würde dahin gehen, daß man sich bewußt macht, daß sie mit dem Raum – sie arbeitet im Raum, im Museumsraum, sie baut Räume in ihren Bildern, und sie meint den Raum im doppelten Sinne. Einmal als Raum im gesellschaftlichen Umfeld, im Kulturbereich, meine ich. Im Äußeren. Und sie meint nach innen hin auch unseren Organismus, den Raum nach innen, den wir selbst einnehmen mit dem, was wir mitbringen, was wir mit uns herumtragen, was wir in uns selbst klären müssen. Diesen Begriff von Raum denkt sie hundertprozentig mit, wenn man sich die Gegenstände genau anguckt und sieht, wie sie auf den Bildern angeordnet sind. Da geht es um die Wirkung von außen nach innen. Was passiert, wenn von außen gehackt und geharkt wird und eine Schraubzwinge angesetzt wird? Und was passiert in mir in dem Augenblick an Reaktion? Welche Möglichkeiten habe ich also innerhalb dieser Zwänge, könnte man sagen, in einem Kulturraum und in meinem eigenen Raum, da herauszukommen. Ich denke, sie versucht, uns durch die Gegenstände und den Bau ihrer Räume – ihrer Bilder also - darauf unterschiedliche Antworten zu geben. Das heißt: sie überlegt mit Bildern."

Eckhard Fürlus: "Die Farbe Rot kommt in allen ihren Arbeiten vor?"

Ulrich Domröse: "Ja. Rot und Blau."

Eckhard Fürlus: "Rot und Blau?"

Ulrich Domröse: "Diesmal ein bißchen Blau, sonst alles Rot. Und sie sagt dazu, das ist für sie ganz wichtig, das meint das Körperliche. Körper. Haut. Blut. Das heißt, daß bei allem, was sie macht, diese Gegenständlichkeit bei ihr immer verbunden ist mit dem Körperlichen. Und deshalb die Farbe Rot."

Eckhard Fürlus: "Sehr lustig finde ich, daß das Hinweisschild auf den Feuermelder im Raum, dieses rote 'F', aussieht wie ein Bestandteil ihrer Arbeit."

Ulrich Domröse: "Das ist es ja auch. Die Frau hat Humor!"



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Ulrich Domröse ist Leiter der Fotografischen Sammlung der Berlinischen Galerie und Kurator der Ausstellung "Moses Möglichkeiten" von Catrin Otto. Die Ausstellung wird noch bis zum 7. September 2005 in der Berlinischen Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Alte Jakobstraße 124-128, in 10969 Berlin zu sehen sein. Weitere Informationen gibt es unter www.berlinischegalerie.de.