09.07.2005

Kunst in Auschwitz 1940 – 1945

von Eckhard Fürlus

Das Centrum Judaicum zeigt Kunstwerke aus dem Lager Auschwitz-Birkenau

Von den zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen im Rahmen des Themenjahres "Zwischen Krieg und Frieden" anläßlich des 60. Jahrestages nach Kriegsende ist an dieser Stelle von einer herausragenden Exposition die Rede, die in Anwesenheit des Bundeskanzlers Gerhard Schröder eröffnet wurde. Vom 25. Mai bis zum 14. August 2005 zeigt die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum "Kunst in Auschwitz 1940-1945" und präsentiert in dieser Ausstellung 140 Kunstwerke, die im Lager Auschwitz-Birkenau entstanden sind. Das Magazin Cicero sprach bereits in seiner Mai-Ausgabe von der "ungewöhnlichsten Ausstellung des Jahres".

Das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau in Oswiecim besitzt eine weitgehend unbekannte, umfangreiche Sammlung bildender Kunst, zu der 1500 Kunstwerke gehören, die in der Zeit von 1940-1945 im Konzentrationslager Auschwitz entstanden sind. Diese Bilder wurden von Häftlingen aus Auschwitz gemalt; sie sind ein besonderes Dokument nach Bewahrung menschlicher Würde in einer Welt von Erniedrigung, Demütigung, Gewalt und ständiger Angst vor der Ermordung. Ein Teil der heutigen Sammlung umfaßt Stilleben, Landschaften, Karikaturen, Genreszenen und vor allem Portraits. Der 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz ist Anlaß für die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, Kunstwerke aus der Lagerzeit zu präsentieren.

Nachdem Polen im September 1939 von der deutschen Wehrmacht überfallen und besetzt worden war, wurde das Konzentrationslager Auschwitz 1940 von der SS in einer Kaserne der Stadt Oswiecim errichtet. Es war zunächst ein Zwangsarbeiterlager für polnische Widerstandskämpfer, Geistliche und Intellektuelle, bald aber auch Konzentrationslager für sowjetische Kriegsgefangene, Sinti und Roma. Ab 1942 wurde Auschwitz zum Ort der Ermordung der europäischen Juden, zum Ort des größten Massenmordes in der Geschichte der Menschheit. Die meisten der nach Auschwitz deportierten Juden wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau umgebracht. Diejenigen, die als arbeitsfähig galten, wurden zur Sklavenarbeit gezwungen. Der Schriftsteller Primo Levi (1919-1987) hat das Leben im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau einmal mit folgenden Worten beschrieben: "Die Welt, in die man hineinstürzte, war nicht nur grauenvoll, sondern darüber hinaus auch noch unentzifferbar: sie entsprach keinem der bekannten Modelle, der Feind war draußen und zugleich drinnen, das 'wir’ verlor seine Grenzen, es gab keine zwei gegnerischen Parteien, man erkannte nicht nur eine Grenzlinie, sondern viele und unklare, vielleicht unzählige, jeweils eine zwischen dem einen und einem anderen."

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Im Oktober 1941 wurde auf Weisung der SS im Konzentrationslager Auschwitz ein Museum eingerichtet, um in einer Art Kuriositätenkabinett Gegenstände auszustellen, die von den Häftlingen stammten, die bei ihrer Ankunft im Lager an der Rampe von Birkenau alles abgeben mußten, was sie bis dahin mit sich geführt hatten. Einige wenige Häftlinge durften in diesem Museum zusammenkommen und künstlerisch tätig sein. Dies wurde möglich durch die Initiative des polnischen Künstlers Franciszek Targosz; es gelang ihm, für sich und seine Künstlerfreunde einen relativ sicheren Raum für ihre Kunst zu schaffen. Franciszek Jazwiecki (1900-1946) hat darüber berichtet: "Um eine Weile Glück zu erringen, vor allem um zu vergessen, zeichnete ich mit Bleistift weiter in den Lagern Portraits. Diese im Verborgenen gemachten Portraits ließen mich vergessen, führten mich in eine andere Welt, in meine Welt der Kunst. Daß Zeichnen mit dem Tod bestraft wurde, nahm ich einfach nicht zur Kenntnis, nicht weil ich mutig war, sondern weil ich die Gefahr nicht beachtete, so anziehend war es, in der eigenen Welt zu schaffen." – "Wenn ich nicht gemalt hätte," sagt Wladyslaw Siwek (1907-1983), "hätte ich Auschwitz nicht überlebt. In der Lagermalerei fand ich nicht nur ein Dach über dem Kopf. (...), aber das wichtigste dabei war: Wenn ich malte, vergaß ich, daß ich im Lager war, obwohl wir in ständiger Angst malten."

Um die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen, begann die SS Ende 1944 mit der Demontage und der Zerstörung der Gaskammern und der Krematorien sowie mit der Vernichtung von Dokumenten. Der überwiegende Teil der Häftlinge wurden gezwungen, das Lager zu verlassen oder wurden von der SS erschossen. Diejenigen, die im Lager zurückgelassen wurden, sind am 27. Januar 1945 von Soldaten der Roten Armee befreit worden. Durch ein Gesetz des polnischen Parlaments wurde am 2. Juli 1947 auf den erhalten gebliebenen Überresten des ehemaligen Konzentrationslagers in Oswiecim das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau errichtet, das 1979 von der UNESCO in die Liste mit Objekten des Weltkulturerbes aufgenommen wurde.

Mit der Ausstellung "Kunst in Auschwitz", einer Auswahl aus der Sammlung des Museums Auschwitz-Birkenau, versucht die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum einen Blick auf die Opfer in den Lagern und auf eine Kunst, deren Entstehen kaum vorstellbar ist. Nicht zuletzt ist dies auch der Versuch, den Ermordeten ein Gesicht und eine Biographie zurückzugeben. Zur Eröffnung der Ausstellung sprachen Bundeskanzler Gerhard Schröder, der beim Betreten des Festsaals mit stehenden Ovationen begrüßt wurde, sowie Hermann Simon, der Direktor des Centrum Judaicum, Dr. Andrzej Byrt, Botschafter der Republik Polen, und Jochen Boberg, der Direktor des Museumspädagogischen Dienstes Berlin. – "Kunst in Auschwitz" – In einer Zeit, in der es bald niemanden mehr geben wird, der persönlich über die Hölle von Auschwitz berichten könnte, haben die in dieser Ausstellung gezeigten Werke über den künstlerischen Wert hinaus eine zusätzliche dokumentarische Wertschätzung erfahren. Wäre es tatsächlich unmöglich, nach den unbegreifbaren, bürokratisch organisierten Verbrechen in den Konzentrationslagern noch an eine Zukunft für die Kunst zu denken, dann, so hat es Jochen Boberg formuliert, "hätte der Naziterror einen scheußlichen Sieg errungen und uns über seinen Ausbruch und seine Vernichtung hinaus ein weiteres böses Erbe hinterlassen."