27.05.2005

„Beinahe so wie Goethe“

von Eckhard Fürlus

Religion Macht Kunst – Die Nazarener in der Schirn Kunsthalle Frankfurt

Rückbesinnung heißt in diesen Tagen das Zauberwort. Rückbesinnung auf das 19. Jahrhundert, das derzeit nicht zuletzt durch den 200. Todestag von Friedrich Schiller so präsent ist. Und Rückbesinnung auf Religion und Spiritualität. Mit zwei Ausstellungen, die zum einen die Kunst der Nazarener und zum anderen den Einfluß der Romantik auf die zeitgenössische Kunst untersuchen, rückt die Schirn Kunsthalle Frankfurt zwei Phänomene des 19. Jahrhunderts in ein wiedererwachtes Interesse und stellt die Frage nach der Aktualität dieser Bewegungen.

Die Nazarener – das ist die deutsch-österreichisch-schweizerische Bruderschaft um Johann Friedrich Overbeck, Franz Pforr und Peter Cornelius, die sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts zusammenschloß mit dem Ziel, mit den Mitteln der Kunst eine christlich geprägte Gesellschaftsform wiederzubeleben. Anders als im Oktober 1994, als anläßlich einer Ausstellung romantischer Kunst aus Deutschland in Edinburgh und London noch den Vorwurf untermauern sollte, der Nationalsozialismus sei der authentische politische Ausdruck deutscher Romantik, erscheinen die Nazarener uns im Heutigen in dieser Ausstellung und bei genauerer Betrachtung fast modern in ihrer Haltung zum Religiösen, in ihrer Protesthaltung gegenüber einer säkularisierten Gesellschaft sowie in ihrem Umgang mit einem konzeptuellen Kunstbegriff.

Max Hollein, der Direktor der Schirn Kunsthalle und ab 2006 auch Leiter des Städelmuseums und des Liebighauses in Frankfurt, hebt im Vorfeld dieser Ausstellung hervor, daß es seit etwa 30 Jahren keine Ausstellung zu der Künstlergruppe der Nazarener gegeben habe. Auch sei es nun durch die Wiedervereinigung Deutschlands möglich, erstmals bisher unzugängliche Werke auszuleihen und im Kontext der Bewegung zu präsentieren in der Stadt, mit der die Nazarener durch ihr mannigfaltiges Wirken „beinahe so wie Goethe“ verbunden seien. Die Kuratorin der Ausstellung, Christa Steinle, betont, daß „angesichts der Rückkehr der Religion in den öffentlichen Raum und der neu entflammten Kriege zwischen Religionen und Zivilisationen“ nun auch überraschend die zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstandene Kunstrichtung der Nazarener ins Blickfeld gerückt sei. Es gehe darum, so Steinle, die Frage nach dem Religiösen, nach der Funktion der sakralen Kunst in einer säkularen Gesellschaft neu zu stellen.

  • Die Nazarener, ©
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Die Nazarener werden in dieser Ausstellung als eine studentische „Aussteigergruppe“ beschrieben, die sich 1809 an der Wiener Akademie der bildenden Künste zusammenschloß und sich dem Beispiel mittelalterlichen Zunftwesens gemäß nach dem Schutzheiligen der Maler „Lukasbund“ nannte. Zu ihnen gehörten Johann Konrad Hottinger, Friedrich Overbeck, Franz Pforr, Joseph Sutter, Ludwig Vogel und Joseph Wintergerst. Ihr Programm einer Befreiung der Gegenwart aus ihrer Rationalisierung und Sinnentleerung durch die Mittel der Kunst, die Rückkehr zum christlichen deutschen Mittelalter als gültigem Weltbild sowie die Erneuerung der religiösen Gesinnung durch Kunst und die Stärkung des nationalen Selbstbewußtseins verstehen die Ausstellungskuratoren nicht als backlash; der programmatische Rückgriff auf frühere Epochen und auf den Stil Raffaels und Dürers wird in dieser Ausstellung gedeutet als eine Vorwegnahme der Strategien des 20. Jahrhunderts wie die der Konzept- und Appropriationskunst. Die Nazarener – in Anspielung auf die Jünger Jesu ist der Name hergeleitet von dem Spottnamen „Nazareni“ – werden somit zu Pionieren der ästhetischen Moderne.

Viele dieser antiakademischen Sezessionisten wurden erfolgreiche Künstler, Leiter von Kunstakademien, Direktoren oder Professoren. Große Verbreitung fanden ihre Werke im 19. Jahrhundert als druckgraphische Andachtsbilder; die Wiederaufnahme der monumentalen Freskenmalerei in kirchlichen und staatlichen Gebäuden trug wesentlich dazu bei, ihren Stil in der Öffentlichkeit zu verankern.

Die Ausstellung, als deren Ziel eine Neubewertung des „Nazarenismus“ formuliert wurde, ist in vier Gruppen gegliedert: 1. Religion und Kunst, 2. Die Bewegung, 3. Reinheit und Wahrheit, 4. Gedankenkunst und ihre Folgen und stellt die Fragen nach dem Einfluß auf heutiges Kunstverständnis, auf Konzept und Idee, auf Purismus und Imagebildung neu. Sie ist noch bis zum 24. Juli 2005 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt zu sehen. Weitere Informationen zu dieser Ausstellung gibt es im Internet unter www.schirn.de.