19.05.2005

Schwebende Stelen

von Eckhard Fürlus

Ein Erinnerungsraum von Rausch & Reifenberg in der Berliner Galerie Mathias Kampl

„Von Wedel bis nach Jericho“ lautet der Titel eines Songs der legendären Hamburger Kult-Band Die Zimmermänner aus den frühen 80er Jahren. Eine vergleichbare Distanz liegt zwischen Hamburg und Haifa, den Geburtsorten von Mechthild Rausch und Dodi Reifenberg, den Künstlern, die den Erinnerungsraum in der Galerie Mathias Kampl in der Auguststraße in Berlin konzipiert, entwickelt und in Zusammenarbeit mit dem Berliner Architekten Niklas Draeger erstellt haben.

„Vielleicht sollte ich vorher von einem Entwurf sprechen, der mich völlig überzeugt hat. Er stammt von Rudolf Kurz und Thomas Lehener und besteht aus einem einfachen Schild. Dieses Schild sollte an der Feldherrenhalle auf dem Odeonsplatz angebracht werden, dort, wo sich die Juden zur Deportation sammeln mußten. Es sollte die Aufschrift tragen: 'Juden in aller Welt, bitte kehrt zurück, wenn ihr wollt.’ Leider wurde der Entwurf nicht ausgeführt. Das bescheidene, kleine Schild hat mich sehr berührt.“
Dodi Reifenberg

„Schwebende Stelen“ ist eine Ausstellung, die sich in der Idee und in der Durchführung ganz bewußt auf den Entwurf von Peter Eisenman für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas bezieht. Im Gegensatz zu Eisenmans Arbeit ist „Schwebende Stelen“ keine begehbare Flächenskulptur; in der Installation von Rausch & Reifenberg hängen die Quader unter der Decke des Galerieraums. Diese etwa fünfzig Quader bestehen aus grau eingefärbtem, glattem Styropor, deren Abmessungen von 10 x 24 x 60 cm bis zu 125 x 60 x 24 cm betragen. In der Weise, wie sie unter der Decke angebracht sind, ergeben sie ein regelmäßiges Muster.

Die einen Tag nach der Einweihung des Eisenman-Denkmals eröffnete Ausstellung von Rausch & Reifenberg soll das Monument am Brandenburger Tor nicht herabsetzen; sie will auch nicht mit ihm konkurrieren. Der Zweck der Flächenskulptur Eisenmans sei erfüllt, wenn an oder in diesem Monument Menschen gedenken und trauern können. Wie die Künstler betonen, soll die als künstlerische Paraphrase gedachte Installation zum Ausdruck bringen, was sie beim Anblick des in den vergangenen Tagen fertiggestellten Mahnmals von Peter Eisenman empfanden und darauf hinweisen, daß es für dieses Projekt keine befriedigende künstlerische Lösung gibt. Ihre eigenen Gefühle, so die Künstler, konnten sie mit dem von Eisenman errichteten „Maximahnmal“ nicht verbinden. „Wir empfinden es zu groß, zu kalt, zu unpersönlich. Beim Betrachten des Monuments überkam uns plötzlich der Wunsch, die Stelen möchten sich für einige Zeit in die Luft erheben, um uns und die Opfer von der Last des staatlich verordneten Gedenkens zu befreien. Diese Phantasie haben wir in unserer Installation umgesetzt.“ Mit den aufgehobenen Stelen sollen die Besucher dieser Ausstellung zum ganz persönlichen Nachdenken angeregt werden. Auch sind die Besucher aufgefordert, Dokumente ihrer Beschäftigung mit dem Holocaust in die Ausstellung mitzubringen und dort zu deponieren. Das können Bücher, Fotos oder Videokassetten und andere Dinge sein.

Der Katalog „Schwebende Stelen“ kostet in der Ausstellung 3,- Euro und enthält neben einer auf dem Computer hergestellten, nach Art des Daumenkinos funktionierenden Bildfolge der auf- und absteigenden Styroporstelen ein höchst lesenswertes Künstlergespräch zwischen Mechthild Rausch und Dodi Reifenberg.

Die Ausstellung „Schwebende Stelen“ wird noch bis zum 9. Juni 2005 in der Galerie & Projekte Mathias Kampl zu sehen sein. Eine Übernahme dieser Ausstellung durch andere Galerien ist geplant.