20.04.2005

Unter Göttern und Heroen

von Eckhard Fürlus

Ein Gespräch mit der Kunsthistorikerin Dr. Uta Barbara Ullrich über die Ausstellung „Peter Cornelius – Die Götter Griechenlands“.

Die Ausstellung „Peter Cornelius – Die Götter Griechenlands“, die noch bis zum 9. Juni 2005 in der Alten Nationalgalerie zu sehen sein wird, war bereits in der vergangenen Ausgabe des Online Magazins TUXAMOON Gegenstand einer ausführlichen Besprechung. Das nachfolgende Gespräch mit der Kunsthistorikerin und Kuratorin Dr. Uta Barbara Ullrich, die für die Konzeption und Realisation der Ausstellung mitverantwortlich ist, wurde im April in den Sälen der Alten Nationalgalerie geführt.

Eckhard Fürlus: Daß die von Peter Cornelius geschaffenen Kartons zu den Fresken der Glyptothek in München so lange im Verborgenen bleiben konnten, überrascht um so mehr, als es sich dabei um ein Hauptwerk des Künstlers handelt. Warum ist man erst jetzt auf diese Kartons aufmerksam geworden?

Uta Barbara Ullrich: Es ist nicht ganz korrekt, wenn man sagt, daß die Kartons seit Jahrzehnten unbekannt waren. Nachdem die Kartons ihre ursprünglichen Ausstellungsräume, die Cornelius-Säle in der Nationalgalerie, zu Beginn des 20. Jahrhunderts verlassen mußten, hat es vereinzelt Ausstellungen mit ausgewählten Kartons gegeben. So wurden unter Justi in den 1950er Jahren noch einmal einige ausgestellt, und oben im dritten Ausstellungsgeschoß sind in der ständigen Ausstellung ebenfalls Kartons aus diesem Glyptotheks-Zyklus präsentiert, aber eben nur eine kleine Auswahl. Daß es sich um einen riesigen Zyklus handelt, ist tatsächlich etwas, das es erneut ins Bewußtsein zu bringen galt. Der Initiator war León Krempel, der, mittlerweile am Haus der Kunst in München, vor einigen Jahren hier bei den Staatlichen Museen im Zuge seines Volontariats auf diese Kartons aufmerksam wurde. Er ist in der Folge als Kurator im Haus der Kunst auf die Staatlichen Museen zugekommen und hat vorgeschlagen, ein richtiges Ausstellungsprojekt zu entwickeln. Man ist dann in die Depots gegangen und hat sich die nicht ausgestellten Kartons angesehen. Den Impuls von León Krempel hat man hier sehr schnell aufgenommen, denn gerade für die Alte Nationalgalerie ist Cornelius aus sammlungshistorischer Perspektive ein hervorragendes Thema.

Eckhard Fürlus: So schnell, wie Peter Cornelius zu Beginn des 20. Jahrhunderts vergessen wurde – nicht zuletzt durch die Ankaufpolitik Hugo von Tschudis –, so schnell scheint er durch die in München und nun in Berlin gezeigte Ausstellung wieder in die Kunstgeschichte zurückzukehren.

Uta Barbara Ullrich: Das hoffen wir natürlich, daß wir einen solchen Anstoß haben geben können. Wenn man die Reaktionen der Besucher anschaut, lehrt die Erfahrung hier, daß es nach wie vor eine Kunst ist, die vermittelt werden muß. Es handelt sich nicht um eine Künstlergröße aus dem 19. Jahrhundert, die man jetzt, 2004/2005, nur neu präsentieren müßte, und es fiele sofort ins Auge, wie wesentlich sie für die Kunst und für die Kunstgeschichte gewesen ist. Es ist eine museumspädagogische Aufgabe, diesen Künstler in der Wichtigkeit, die er besessen hat, neu vorzustellen.

Eckhard Fürlus: Es heißt, die Ausstellung polarisiere das Publikum. Zustimmung einerseits und Ablehnung auf der anderen Seite. Welche Reaktionen hat es bislang gegeben? Sind das auch die Erfahrungen, die Sie gemacht haben?

Uta Barbara Ullrich: Ja, ganz definitiv. Es gibt Besucher, die sich – ich sehe dies auf meinem regelmäßigen Gang durch die Räume – abwenden, sobald sie diese großen monochromen Kartons mit Themen sehen, die ihnen auf den ersten Blick nichts sagen. Es gibt jedoch auch Besucher, die den Kurzführer, eine Art kommentiertes Verzeichnis der ausgestellten Kartons, in die Hand nehmen und sehen, daß man ein wenig Zeit braucht, um sich sowohl auf die Technik und die großen Formate als auch auf die Themen einzustellen. Und dann gibt es die Besucher, die Cornelius zuvor nicht kannten und ganz begeistert herauskommen. Die Reaktionen sind wirklich sehr unterschiedlich.

Eckhard Fürlus: 2005 ist ja unter anderem auch das Schiller-Jahr. Pathos ist wieder angesagt. Die in den Kartons thematisierten Szenen sind der Ilias und dem Kampf um Troja entnommen. Geschichten von Liebe, Leidenschaft und Zwietracht unter den olympischen Göttern. Und die Schirn Kunsthalle in Frankfurt wartet in diesem Jahr mit einer Ausstellung über die Künstlergemeinschaft der Nazarener auf. Und da frage ich mich: Liegt das in der Luft? Ist dies nur ein Zufall oder war das intendiert?

Uta Barbara Ullrich: Das ist eine interessante Frage. Im Vorfeld hat es jedoch keine Absprachen zwischen der Schirn und den Staatlichen Museen oder dem Haus der Kunst gegeben. Es gab genug gute Gründe, Cornelius hier bzw. in München zu zeigen. Auf Schiller deutet natürlich der Titel der Ausstellung, „Die Götter Griechenlands“, er zitiert Schillers gleichnamiges Gedicht. Ich glaube schon, daß eine Kunst wie die von Cornelius, läßt man sich auf sie ein, die Möglichkeit bietet, wieder große Erzählstränge nachvollziehen zu können. Die Geschichten, die hier erzählt werden, sind von bleibender Gültigkeit. Es geht um die ganz großen Themen: Haß, Liebe, Zwietracht, Frieden und Krieg. Der Trojanische Krieg zeigt sich ja als ein Urexempel menschlichen Streits, menschlichen Krieges. Das sind Themen, die nach wie vor interessieren und über den Umweg über Cornelius wieder neu ansprechen können.

Eckhard Fürlus: In dem Zusammenhang fällt mir der Film ein, der vergangenes Jahr im Kino zu sehen war: Troja.

Uta Barbara Ullrich: Meines Erachtens ein wenig überzeugender Film.

Eckhard Fürlus: Ich fand ihn gar nicht so verkehrt. Ein paar Dinge waren dabei, wo ich gedacht habe: O ja, das könnte sein, daß auf die Art und Weise doch auch griechische Mythologie wieder rezipiert wird.

Uta Barbara Ullrich: Ich stimme Ihnen in diesem Punkt nur bedingt zu. Es ist sicherlich immer wünschenswert, wenn durch Medien, die heute auf einer breiteren Ebene rezipiert werden als Ausstellungen in Museen, durch einen Film beispielsweise, ein Thema wieder aktuell wird, das vielen aus der Schule nur noch ganz entfernt, vielleicht überhaupt nicht mehr vertraut ist. Das ist sicherlich ein wünschenswerter Effekt. Abgesehen davon, daß mich der Film als solcher handwerklich und in der schauspielerischen Leistung nicht überzeugt hat, habe ich jedoch vor allem einen Aspekt vermißt, der die Geschichte bei Homer, in der Folge auch gerade bei Cornelius so hochinteressant macht: das Zusammenspiel oder eben die Gegnerschaft von Göttern und Menschen. Die Götter spielen ja überhaupt keine Rolle in diesem Troja-Film. Dabei ist dies ein Aspekt, der bei Homer ja wesentlich ist: dieses Sich-Einmischen der Götter, dieses Fraktionen-Bilden, etwas, das dem Menschen ja sehr vertraut ist. Diese Durchmischung von Göttern- und Menschensphäre und die sich daraus ergebenden Konflikte fehlten mir völlig.

Eckhard Fürlus: Zu den großen Überraschungen, die mit dieser Ausstellung verbunden sind, gehören für mich die großen Formate der Kartons, aber auch der gute Zustand der Arbeiten, was gewiß auf die Restaurierungsarbeiten zurückzuführen ist. Waren die Kartons auch vor der Restaurierung in einem Zustand, daß man hat sagen können: Das nehmen wir. Das kann man machen.

Uta Barbara Ullrich: Die Restaurierung hat hier wirklich hervorragende Arbeit geleistet. Zudem hat die lange Lagerung viele der Kartons in den Depots vor Lichteinfall und vor Klimaschwankungen geschützt. Darüber hinaus hat Cornelius die Kartons, denen er ja den Status eigenständiger Kunstwerke zumaß, selbst präpariert, um sie haltbarer zu machen, wurden sie doch zu seiner Zeit schon in Ausstellungen gezeigt. Die Kartons sind ja richtig getourt, auch ins europäische Ausland, und wurden dort vielfach gezeigt. Cornelius hat in einem eigens entwickelten Verfahren mit Hilfe von Wasserdampf die Kohlezeichnung auf der mit Leimwasser und Alaun präparierten Leinwand fixieren können mit dem Ziel, die Kartons eben länger als einen herkömmlichen Karton, der benutzt und dann weggeworfen wird, für die Zukunft zu sichern.

Eckhard Fürlus: Die Arbeiten sind in Kohle, Bleistift und Feder ausgeführt. Zusammen?

Uta Barbara Ullrich: In den meisten Fällen zusammen. Die großen Linien sind meist in Kohle gezeichnet, während Details häufig mit Bleistift oder Feder ausgeführt sind. Wenn man an die Kartons herantritt, sieht man das sehr schön. Für die sechs großformatigen Kartons wurde allerdings ausschließlich Kohle verwendet, die jedoch sehr modifiziert aufgetragen ist, etwa gewischt oder laviert.

Eckhard Fürlus: Griechische Mythologie war nicht zuletzt durch die Götterlehre von Karl Philipp Moritz und die Übertragungen der Epen Homers durch Johann Heinrich Voß ein für die damalige Zeit bedeutendes und bekanntes Thema. War die Themenauswahl dem Künstler selbst überlassen, oder gab es Vorgaben?

Uta Barbara Ullrich: Es gab ein grundsätzliches Programm. Es war sehr schnell beschlossen, welche Räume Cornelius auszustatten hatte. In diesen Räumen sollte griechische Kunst gezeigt werden. Damit war der darzustellende Kulturkreis bereits relativ früh klar. Dies geht zurück auf Leo von Klenze, den Architekten der Glyptothek, und natürlich auf Ludwig I. von Bayern selbst. Gewünscht waren die Heroen, die Götter und die Titanen, das war die Grundlage. Und auf dieser Grundlage konnte Peter von Cornelius sehr selbständig und frei sein Programm entwickeln. Zwar gab es Rücksprachen mit dem Architekten und dem Auftraggeber Ludwig I., aber Cornelius hat, durchaus mit großem Selbstbewußtsein, darauf gepocht, die Präzisierung der Themen und die Auswahl der Motive selbst vornehmen zu können.

Eckhard Fürlus: Für Peter Cornelius steht die Idee im Vordergrund seines künstlerischen Arbeitens. Wichtig ist für ihn die Umrißzeichnung; Farbe ist lediglich etwas Hinzugefügtes. Das Ausmalen der Fresken überließ er seinen Mitarbeitern. Ist er darum schon ein Konzeptualist, ein Konzeptkünstler avant la lettre?

Uta Barbara Ullrich: Dies ist ja eine Idee, die León Krempel bei der Eröffnung bereits zur Diskussion gestellt hat. Es wird sicherlich Kunsthistoriker geben, die sich gegen eine Verwendung dieses Begriffs für Kunst vor den 1960er Jahren wehren. Ich finde die Idee nicht falsch. Es ist ein Unterschied, ob ich ein Konzept entwickle und mir die Ausführung egal ist, das heißt also auch die Qualität der Ausführung egal ist, oder aber ich eine Idee habe und alles daransetze, daß diese Idee in der Form, wie ich sie entwickelt habe, wirklich in die Realität umgesetzt wird. Deshalb würde ich unbedingt sagen: Die Idee und das Konzept stehen bei Cornelius im Vordergrund. Man kann ihn deshalb durchaus als einen frühen 'Konzeptkünstler’ bezeichnen, wenn auch nicht unter der strengen Definition, wie wir sie seit den 1960er Jahren kennen. Bei Cornelius geht es um eine Arbeitsteilung, die nicht daraus resultierte, daß er aus Zeitmangel die Ausführung abgab, sondern weil er die Idee entwickelt hatte: 'Die Linie, die Form ist mir wichtig’. Die Farbe hingegen war sekundär. Es gibt in der Ausstellung eine Zeichnung, in der er ganz leicht Farben andeutet, so daß man eine Vorstellung davon bekommen kann, wie er die Fresken ausgeführt sehen wollte. Daß er die Ausführung zu großen Teilen – nicht ausschließlich – abgegeben hat, läßt sich zurückführen auf seine grundlegende Idee von der Priorität des Konzepts.

Eckhard Fürlus: Wie kam es zu dem Zerwürfnis zwischen Ludwig I. und Peter Cornelius?

Uta Barbara Ullrich: Nicht zuletzt aufgrund der Situation, die wir gerade besprochen haben. Zuerst ausgeführt wurde der Göttersaal. Da zeigte sich Ludwig I. noch völlig begeistert und Peter Cornelius erhielt den Adelstitel in dem Jahr, in dem Ludwig König wurde, 1825. Leo von Klenze war von Beginn an eher kritisch in seiner Haltung zu Peter Cornelius. Er ist an dem Zerwürfnis nicht ganz unschuldig gewesen. Er hat, durchaus zu Recht, Ludwig I. immer wieder gesagt: Peter Cornelius entwickelt die Idee, aber die Realisierung gibt er anderen Künstlern weiter; das führt zu verschiedenen Händen, es wird sehr heterogen in der Qualität. Und tatsächlich gab es ganz objektiv Malfehler zu bemängeln, also technische Fehler im Auftrag der Farben. Es bildeten sich feuchte Flecken, die Farben veränderten sich. Man muß sich die ausgeführten Fresken relativ bunt vorstellen. Dann wurde der Heroensaal ausgemalt. Cornelius hat sich hierbei immer weiter zurückgezogen. Hatte er den Göttersaal noch in der Ausführung mitgestaltet, zog er sich jetzt Schritt für Schritt aus der Realisierung zurück. Der Heroensaal war nicht mehr das, was sich Ludwig I. vorgestellt hatte. Es sind insbesondere die Qualitätsunterschiede in den ausgeführten Fresken, die zum Zerwürfnis geführt haben. Das waren die ersten Schwierigkeiten, in den späteren 1820er Jahren. Dann kamen die neuen Aufträge in der Ludwigskirche in München und in den Loggien der Alten Pinakothek hinzu. Und hier gab es bald vergleichbare Probleme, wiederum aufgrund der Haltung von Cornelius: Ich habe das Konzept entwickelt und andere führen es aus. Neben den technischen Problemen gab es jedoch auch Probleme inhaltlicher Natur, d.h. auch Programmideen von Cornelius für die Ludwigskirche stießen bei Ludwig I. nicht mehr auf Gegenliebe. Es ist damit die Geschichte eines anfänglichen Erfolgs und eines dann immer schwieriger werdenden Verhältnisses.

Eckhard Fürlus: Dann kommt er nach Berlin. Er wird von Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin berufen und möchte hier sein eigentliches Lebenswerk vollbringen, eine „Comedia divina“, ein christliches Epos, das nicht mehr zur Durchführung gelangte. Ist das lediglich ein Wortdreher, und handelt es sich dabei um die „Divina Comedia“ von Dante?

Uta Barbara Ullrich: Ja, es spielt darauf an. Es ist natürlich ein Begriff, der nicht mehr ohne den Blick auf Dante zu verwenden ist. Cornelius’ Idee war es – Sie haben ja auch die Entwürfe und Kartons in der entsprechenden Ausstellungssektion zum Campo Santo gesehen –, ein riesiges Freskenprogramm zu entwickeln, in dem der Mensch unterhalb Gottes im Zentrum steht mit allem, was zu seiner Existenz gehört, mit Sünde, Sühne und Erlösung. In dieser Weise greift der sehr weite Begriff der „Comedia divina“, den Cornelius selbst verwendet hat, sehr gut, führt man sich den umfassenden Kosmos vor Augen, den Dante in seinem Epos entwickelt hat.

Eckhard Fürlus: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Durs Grünbein bei der Erstellung des Katalogs?

Uta Barbara Ullrich: Es ist eine Idee, die auch aus München stammt, von León Krempel. Dort hatte Durs Grünbein bereits eine Lesung gegeben, ähnlich wie wir sie mit ihm vor einem Monat hier in der Alten Nationalgalerie veranstaltet haben. Herr Krempel ist auf Herrn Grünbein zugekommen und hat gefragt: Wir würden gern ein Buch zur Ausstellung machen mit folgender Vorstellung: Könnten Sie sich – Herr Grünbein ist ja selbst an der Antike äußerst interessiert – eine Art Collage entsprechender Texte zu den Abbildungen der Kartons vorstellen? Das Buch ist eben kein klassischer Ausstellungskatalog. Es bietet weniger Informationen über das, was man zu den Kartons wissen sollte oder möchte, als vielmehr, neben hervorragenden Farbabbildungen, eine sehr anregende Textcollage. Es ist eher eine bibliophile Ausgabe. Die Idee, mit Durs Grünbein zu kooperieren, haben wir hier natürlich gerne aufgenommen.



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Dr. Uta Barbara Ullrich ist Museumsassistentin in Fortbildung und Mitarbeiterin bei der Ausstellung zu Peter Cornelius in der Alten Nationalgalerie.

Neben dem Buch ist ein Kurzführer zur Ausstellung „Peter Cornelius. Die Götter Griechenlands – Kartons für die Fresken der Glyptothek in München aus der Nationalgalerie und dem Kupferstichkabinett Berlin“ erschienen. Das Vortragsprogramm zu dieser Ausstellung, die noch bis zum 5. Juni in der Alten Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, zu sehen sein wird, kann man im Internet finden unter www.smb.museum.