22.10.2008

Notizen eines Kerzenhändlers - Folge 43

von Nils Röller

Der Regen tropft an die Scheiben des Geschäftes. Es ist Abend, zwei, drei Helden sind in Kerz’ Gemüt gebrannt, seitdem er den Film „Troja“ gesehen hat. Er weiss nun, dass es eine Zeit gab, die man die Zeit der Helden Achilles und Hektor nennt. Kerz überlegt, was er mit diesem Wissen anfangen soll. Er fragt sich, was heute als heldenhaft gilt. Was ist heute? Heute werden Gesprächs- und Verfallszeiten gemessen. Messung bedeutet, Zahlen bei Vergleichen zu nutzen. Kann man Helden und Könige messen? Vielleicht an ihrem Reichtum, vielleicht an ihrem Vermögen in kurzer Zeit, viel zu bewirken. Von Zeich hört er, dass jede Stadt und jede Zeit ihre Helden hat. Neu Delhi soll 40 Helden haben. Einer davon ist OP Jain, ein Mann der darauf achtet, dass er keinem Lebewesen etwas zuleide tut. Auf seinem Anwesen werden die Wege so gelegt, dass Ameisen nicht zertreten werden, Streifenhörnchen genügend Bäume finden und Pfauen schreiten können. OP Jain ist Jainaist. Die Jainaisten unterhalten im Zentrum von Alt-Dehli ein Krankenhaus für Vögel.

Neben OP Jain wird auch Bindeshwar Pathak als Held Neu Delhis gefeiert. Er hat ein System gefunden, öffentliche Toiletten in Neu Delhi zu verbreiten. Die Helden Neu Delhis sind in erster Linie Helden, wenn sie etwas für die Menschen und die Stadt tun. OP Jain gilt in erster Linie als Held, weil er Denkmäler pflegt, und dann zweitens, weil er die Natur pflegt. Kerz denkt, dass Heldentum in Hinblick auf den Nutzen der Menschheit definiert wird. Heldenhaft ist vor allem das, was den Menschen und ihrer Stadt zugute kommt. Sind andere Kriterien denkbar?

Kerz setzt erst einmal Punkte, und zwar Punkte, wie sie Dieter Roth in seinen „Frühen Schriften“ setzt:

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Das gelingt nicht. Denn Kerz kann die Zeichen nicht so setzen, wie er möchte. Die Abstände zwischen den Punkten gibt das Computerprogramm vor. Roth konnte die Zeichen, die er setzte zwar auch nicht völlig frei setzen, hatte aber mit der Schreibmaschine oder mit dem Setzkasten andere Möglichkeiten, Abstände zu bestimmen. Ausserdem mogelt Kerz. Er kopiert die Zeilen. Roth setzte Punkt für Punkt, Zeile für Zeile eigenhändig. Das betrifft einen Aspekt des Heldentums, nämlich den des persönlichen Einsatzes, so sinnvoll oder unsinnvoll der auch sein muss. Ein Held handelt selbst, jeder Akt erhält den Glanz der selbständig durchgeführten Tat. Ein Held verausgabt sich, er mogelt nicht. Kerz verausgabt sich nicht. Er glaubt, dass diese Punkte noch etwas anderes mit Helden und Königen zu tun haben. Die Punkte verdeutlichen ein Problem der Helden von Neu Delhi. Die Helden von Delhi stammen aus den oberen Schichten der Gesellschaft. Sie sind strikt von den anderen Schichten oder Kasten getrennt. Darin gleichen die Kasten Punkten. Sie sind miteinander nicht verbunden, sondern diskret getrennt. Sie zu verbinden, das wäre eine herorische Aufgabe. Das kann gelingen, indem man an Verbindungen denkt und für sie Sorge trägt. Eine Gesellschaft. die diskrete, scharfe Unterscheidungen betont, wirkt bedrohlich. Ist es die Aufgabe von Helden, Verbindungen zu schaffen? Ein Film wie Troja leistet das nicht. Er suggeriert eine Welt der Helden, die von der heutigen Welt weit entfernt ist und mit dem Leben von Kerz nichts zu tun hat. Die Helden von Neu Delhi schon. Siehe auch: www.journalfuerkunstsexundmathematik.ch

Weitere Notizen

I Zeich, Enkel der Generation Golf, hat Kummer mit der Klimaanlage seines Autos. Da er sie selbst nicht reparieren kann, sondern wartet, bis ihm seine Werkstatt die Bordelektronik richtet, fragt er sich, warum er nichts von Elektronik versteht, hat er doch Vorbilder, die technologisches Verständnis predigen. Sie schreiben begeistert über E-Gitarren, programmieren selbst und haben Freunde, die ihre Autos selbst reparieren. Ob er jemanden vertrauensvoll anrufen soll und fragen, wie man die Klimaanlage einer Limousine in Gang setzt? Ein Anruf bei einem seiner akademischen Meister führt zu dem Hinweis, einfach die Sicherungen zu prüfen. Kerz meint, dass Zeich andere Sicherungen prüfen sollte, seine eigenen Sicherungen zum Beispiel. Sie müssten längst durchgebrannt sein unter der Hochspannung, die Zeich sich und den anderen zumutet, wenn er klug redet und sich anderseits ständig unklug verhält, indem er Auto fährt, als ob es keinen Klimawandel gäbe.

II Die Sonne ist so gross wie ein Menschenfuss
- Heraklit

Oder so klein wie der Eingang zu einem Hühnerstall, in dem Obdachlose nach einem der zahlreichen Erdbeben der letzten Jahre und vor den Vulkanausbrüchen kommender Tage Schutz suchen. Die Obdachlosen sind in einer Lage, die heraklitisch genannt werden kann. Von Heraklit ist kaum etwas überliefert, seine Schriften sind Bränden, Gewalt und Nachlässigkeit ausgesetzt worden, so dass fast nichts von ihm übrig bleibt. Die jüngsten Obdachlosen, die Medien berichten von über 2o.000, haben nach den Erdbeben nichts mehr, weder Haus, Kochgeräte, Fernseher nichts mehr, ausser ihr nacktes Leben. Ob sie vorher viel besessen haben, das steht gerade nicht zur Diskussion, wird auch nicht zur Diskussion stehen, da keine Institutionen in Aussicht stehen, die für die Rückbeschaffung verlorenen Besitzes aufkommen würde. Die wenigen überlieferten Sätze Heraklits geben Anlass zu Überlegungen, wie wohl sein Gesamtwerk ausgesehen haben mag. Die Sätze fordern das Denken so heraus, dass man einen vermögenden Autor als ihren Urheber vermutet, der in der Lage gewesen sein muss, weit mehr als diese wenigen Sätze zu formulieren. Eine Vermutung der Altphilologen widersprechen. Sie argumentieren in der Kenntnis des Medienwechsels, dass Heraklit wie die übrigen Vorsokratiker, eigentlich kein Mann der Schrift war, sondern ein Autorität vergleichbar einem Sänger oder einem Orakel, das der Gemeinschaft Sentenzen überlässt, die gut zu merken, aber schwer zu begreifen sind. Sentenzen gleichen Keimen, die im Denken gesät werden. Sie werden wahrgenommen und erinnert, entfalten im Denken der Gemeinschaft ein Vermögen, die Wirklichkeit anders als gewohnt zu sehen. Den Obdachlosen in Indonesien könnten solche Samen nutzen, die ihnen helfen, sich selbst künftig wieder grundsätzlich zu versorgen. Aber das setzt voraus, dass die Weltökonomie sich ändert. Derzeit hat sie die Tendenz, die Armut der Armen zu vergrössern und deren Handlungsspielräume zu verringern. Ihr Handlungsraum lässt sich mit Mikrokrediten vergrösseren z.B. über Kiva.org oder www.fig-igf.org.