19.12.2008

Eine ganz eigene Welt

von Jörg Wild

Stippvisite in der „World of Comics“

Wie so oft im Leben haben Fantasie und Wirklichkeit zwar auch in der Welt der Comics irgendwie miteinander zu tun. Aber nicht ganz viel. Der Alltag der Zeichner und der ihrer Helden könnten nicht unterschiedlicher sein. Ein Besuch in der Comicschule und –schmiede „World of Comics“ bringt den Betrachter wieder auf den Boden zurück.

Ein schmuckloses siebenstöckiges Häusermostrum im Münchner Süden, ein unscheinbarer Eingang, vor dem ein paar Kinder kicken und ein älterer Mann in einer Plastiktüte Pfandflaschen Richtung Supermarkt trägt. Eine Straßenbahn rumpelt über die Allerweltsstraße – nichts deutet darauf hin, dass hinter diesen Mauern kleine Meisterwerke aus Fantasie und Zeichnerkunst entstehen.

Hier ist sie also, die „World of Comics“, die nicht nur in der bayerischen Comicszene einen vorzüglichen Ruf genießt. Samar Ertsey ist ein kleiner, drahtiger Mann mit leiser aber fester Stimme, lichtem Haar und einem kohlrabenschwarzen Pferdeschwanz. Klar, ein Künstler. Aber auch ein Idealist. Denn Ertsey lässt junge Menschen an seinem Wissen über die Welt der Comics teilhaben – er betreibt eine Schule für angehende Autoren und Zeichner, auch wenn das Projekt ursprünglich gar nicht als solches geplant war.

  • World of Comics Heft "Die Zauberflöte"

„Auf der Comicmesse 2003 wurden eine Kollegin und ich von acht Jugendlichen angesprochen, ob wir ihnen nicht ein wenig Zeichenunterricht geben könnten. Das haben wir getan, und daraus entwickelte sich die Schule.“ In Hochzeiten wurden bis zu 80 Schüler betreut, „aber darunter litt die Qualität der Arbeit und des Unterrichts, und so haben wir diese Zahl drastisch reduziert.“ Jetzt sind es noch 20 junge Männer und Frauen, die unbedingt Comiczeichner werden wollen.

Dabei ist Ertseys Unterricht alles andere als ein Motivationskurs. „Wir sagen den Leuten ganz klipp und klar, dass der Job der schönste der Welt ist – und der schrecklichste.“ Wer seinen Lebensunterhalt als Comiczeichner bestreiten will, der sollte mindestens eine Seite pro Tag schaffen. Eher mehr. Das heißt aber auch, dass er mindestens 16 Stunden täglich arbeiten muss. Das bedeutet völlige soziale Isolation, kein Kontakt zu Freunden, kein Privatleben. „Ich kenne Typen, die schaffen das – aber die meisten von denen sind im Laufe der Jahre auch echte Freaks geworden“ erklärt der Comicmeister ernst.

Ertsey setzt dem sein ganz eigenes Konzept entgegen. Durch die Schule belebt er seine Wohnung immer wieder mit jungen Menschen, mit Diskussionen, Gesprächen und Gruppenarbeit. Und mit einigen der besten aus seinen Kursen arbeitet er an den Projekten, die letztendlich Geld in die Kasse bringen. Nicht viel, wie er betont, aber zum bescheidenen Leben reicht’s. „Und wir wissen ja auch: Der Erfolg lauert hinter der nächsten Ecke. Der Durchbruch mit unserem Konzept kommt bestimmt!“

Samar Ertsey ist Optimist und Idealist. Die Teilnahme an den Zeichenkursen ist kostenfrei, „denn ich will ja nicht, dass andere Menschen für meine Träume bezahlen.“ Und ein Traum ist die World of Comics für ihn immer noch. Mit vier Jahren sah er zusammen mit seiner Oma im Kino den Zeichentrickfilm „Peter Pan“, deutete auf die Leinwand und erklärte der verblüfften Oma „das will ich auch machen.“ Sprach’s und begann zu zeichnen. Die Leidenschaft hat ihn nie verlassen, und obwohl seine Mutter ihn später zu einem Psychologie-Studium nötigte, „damit ich was Anständiges lerne, verstehen Sie!“, blieb er im Herzen Zeichner und Comic-Fan.

...und mit dem ICOM-Award stellte sich der erste Erfolg für die „World of Comics“ ein.

Die Geschichte der „World of Comics“ unterscheidet sich gravierend von der anderer Zeichenstudios. „Ich lege bei der Konzeption der Hefte sehr viel Wert auf die Mitarbeit der jungen Kolleginnen und Kollegen, denn die wissen doch ganz genau, was in den Herzen und Köpfen der Leser vor sich geht.“ Zunächst ersann das Team einen Comic mit einer losen Geschichte. Jeder Mitarbeiter eine Seite, die er nach seinem Geschmack und in seinem Stil bearbeiten konnte. Daraus entstand ein Patchwork ohne grafischen roten Faden. Das änderte sich mit dem ersten großen Projekt, der Comic-Umsetzung von Mozarts Oper „Die Zauberflöte“. Hier ergänzten sich die Mitarbeiter gemäß ihren ganz persönlichen Stärken in jedem einzelnen Bild. Das Buch wurde eine Geschichte mit rotem Faden und im Stil eines professionellen Manga. Das Konzept überzeugte ebenso wie die Umsetzung, und mit dem ICOM-Award stellte sich der erste Erfolg für die „World of Comics“ ein.

Aber zurück zu Mangas. Natürlich sind die japanischen Comics mit ihren jungen, großäugigen Helden und den spitzbusigen und mutigen Mädchen Vorbilder für eine ganze Zeichnergeneration. Sie bestimmen den Markt und den Bedarf der Kunden. „Aber ich bin sicher, der Manga-Boom hat seine Blütezeit hinter sich. Wir warten gerade auf den ganz großen Wurf, und der wird die nächsten Trends setzen“ erklärt SE die Zukunft der Comics.

„Die Zauberflöte“ geriet zum Erfolg, unter anderem wohl auch wegen des Beihefts. „Wir wollen nicht nur Unterhaltung bieten sondern auch ein bisschen Pädagogik dazu geben – allerdings ohne ständig mahnend den Lehrerfinger zu erheben.“ Auch das neue Projekt, das schon auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt wurde und Ende 2008 auf den Markt kommt, liegt im Trend des Bildungs-Comics. Goethes Faust ist in feinster Manga-Manier reich bebildert und schlingert – umzirzt von einem jugendlich-peppigen Mephisto – durch einen flotten Plot.

Wie professionell inzwischen die Arbeitsteilung gestaltet wird, erläutert die 20-jährige Anja Schiffner. Sie entstammt ebenfalls einem von Ertseys Zeichenkursen und hat im heimischen Augsburg ihre Techniken verfeinert. Als Expertin für Beleuchtungen und Hintergrundeffekte bekommt sie die halbfertigen Bilder mit detaillierten Anweisungen auf ihren heimischen PC geliefert. „Und so etwas macht eben auch unser Geheimnis aus“, erläutert Ertsey: „Wir sind keine Einzelkämpfer, die meinen alles zu können und als Freaks ein fertiges Produkt abzuliefern zu müssen. Sondern wir produzieren in Teamarbeit ein Buch, an dem alle Spaß hatten, und an dem viele Leute ihren Beitrag geleistet haben. So ähnlich arbeitet auch Disney“, erklärt er verschmitzt.

Schon liegen die Pläne für eine Auftragsarbeit des Münchnern Jugend-Informations-Zentrums (JIZ) auf dem Tisch.

So viel Engagement spricht sich in der Szene herum. Schon liegen die Pläne für eine Auftragsarbeit des Münchnern Jugend-Informations-Zentrums (JIZ) auf dem Tisch. Entstehen soll ein Comic, der vor den Gefahren von Neonazis waren wird. „Wir erzählen die Geschichte von einem jungen Mann, der in den Sog von Neonazis gerät und einen Anschlag auf das JIZ verüben will und gleichzeitig die Geschichte seiner Freundin, die dort arbeitet.“ Durch die Darstellung aus zwei Perspektiven sollen sowohl potentielle Täter als auch Freunde angesprochen werden.

Nach vielen Erklärungen und Bildern raucht dem Besucher der Kopf. Bleibt nur noch die Frage: Wie geht’s weiter mit der „World of Comics“. „Für den Moment kommen wir über die Runden. Wir haben Ideen und Arbeit und Aufträge und können irgendwie davon überleben“, sagt Ertsey. „Aber wie ich schon sagte: Der Erfolg lauert hinter der nächsten Ecke! Ich weiß, dass ich inzwischen so gut bin, dass der Durchbruch kommen kann. Und wird.“

Draußen vor der Türe rumpelt schon wieder eine Straßenbahn vorbei. Ein Blick zurück auf die Fenster im sechsten Stock zeigt keine Besonderheiten. Erstaunlich, immer wieder, welch kleine, ganz sonderbare und wunderliche Welten sich hinter vermeintlich langweiligen Fassaden verbergen.