25.08.2008

Zulieferer entwickeln die Zukunft

von Annegret Kempf

Die meisten Ideen für umweltfreundliche und verbrauchsarme Autos stammen von den Fertigungspartnern der Automobilbauer

Die Zeiten werden härter: Auch in der Automobilbranche, einem der großen Arbeitgeber in den westlichen Industrieländern und Hort immer neuer Ideen, die in stetig steigenden Patentzahlen münden. Doch bei weitem nicht alle Innovationsimpulse kommen direkt von den Herstellern: Das Schutzbedürfnis der Umwelt und die immer knapper werdenden Rohstoffe führen zur Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, die eigentlich Konkurrenten sind, sowie zu finanziellen Förderungen von geeigneten Forschungen an Universitäten und Instituten. Auch gibt es Kooperationen von Wissenschaft und Wirtschaft auf der Suche nach Lösungen aus den diversen Dilemmata.

Als besonders wichtige Anschieber erweisen sich Firmen, deren Name ihre Bedeutung ungerechtfertigt verschmälert: Die so genannten „Zulieferer“.

Derlei Unternehmen mit Elektronikkompetenz, Werkstoff-Know-how und Innovationen im Verfahrensbereich freuen sich über die größten Erfolge. Dabei handelt es sich der Größe nach um Kleinstunternehmen bis hin zu global operierenden Konzernen, deren Umsatzvolumina denen einzelner Hersteller gleichen.

800.000 Ingenieure stricken an neuen Ideen

Etwa 80 Millionen Fahrzeuge sollen im Jahr 2015 weltweit inmitten eines harten globalen Wettbewerbs produziert werden: In erster Linie für die Länder Osteuropas, Asiens und Lateinamerikas, bedrängt von neuen Anbietern aus China, Indien und Osteuropa. Das besagt die Studie „Car Innovation 2015“ der Strategieberatung Oliver Wyman, die mit ihren Büros in München, Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg und Zürich unter anderem für führende Unternehmen aus den Branchen Automobil, sowie Luft- und Raumfahrt, arbeitet. Angesichts steigender Emissionsanforderungen und zunehmender Rohstoffknappheit sehen die Strategieberater die individuelle Mobilität in Gefahr. Nur über innovative und bezahlbare Technologien - vor allem bei Antriebskonzepten und Werkstoffen – lasse sich das volle Wachstumspotenzial von 100 Millionen Fahrzeugen bis zum Jahr 2020 realisieren.

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Das kostet die Automobilindustrie einiges: Jährlich investiert sie derzeit etwa 68 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung und setzt weltweit 800.000 Ingenieure für neue Ideen ein. Nach den Prognosen, wird die Branche bis 2015 insgesamt rund 800 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgeben: Oliver Wyman zufolge werden cirka 40 Prozent davon Fehlinvestitionen sein, die es nicht bis in die Serienproduktion schaffen oder bei den Kunden nicht ankommen.

Zulieferer-Industrie als Job-Motor

Wo das Öl ausbleibt und die Preise schneller als Bohnen in ungeahnte Höhen schießen, könnten besonders große technologische Innovationsschritte manchmal die Rettung sein: Doch vor denen scheuen manche Hersteller zurück, da Risiken, wie Alltagsunverträglichkeit und hohe Kosten, hier besonders hoch sind. Westliche Produzenten werden, gemäß der Studie, ihre Forschungsgelder je Fahrzeug künftig einschränken, wohingegen es bei chinesischen, indischen und südkoreanischen Herstellern deutliche Ausgabensteigerungen geben soll: Allerdings liegen die Ideeninvestitionen pro Auto bei BMW derzeit beim etwa 15fachen Wert beispielsweise von Hyundai.

Gegenwärtig sind deutsche Unternehmen Innovationsweltmeister in der Autobranche. Mit jährlich über 3.600 Patenten liegt der deutsche Automobilsektor, IG-Metall-Chef Berthold Huber zufolge, weltweit an der Spitze. Die Automobilzulieferindustrie sei der Job-Motor der Branche und leiste über 78 Prozent der Wertschöpfung. 76 Prozent der Autozulieferer erklären in einer Studie von Ernst & Young aus dem Jahr 2006, die Produktion in Deutschland konstant halten oder auszuweiten zu wollen.

Prognose für Zulieferer: 66 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung

Die Zulieferer weltweit werden, den Prognosen entsprechend, ihre Investitionen für Forschung und Entwicklung von 46 Milliarden Euro im Jahr 2005 auf 66 Milliarden Euro im Jahr 2015 steigern. Laut der Studie „FAST 2015“ von Fraunhofer Gesellschaft und Mercer aus dem Jahr 2004 wird sich der Investitionsbedarf bei den Zulieferern bis zum Jahr 2015 sogar verdoppeln. Innovationspartnerschaften sollen dabei zur Kostensenkung und zur Qualitätssteigerung auf der Suche nach neuen Ideen führen, damit möglichst wenige der beteiligten Unternehmen durch die hohen Entwicklungsausgaben auf der Strecke bleiben. Die wichtigsten Ziele sind eine Verringerung des Kraftstoffverbrauchs, der Emissionen, des Rohstoffverbrauchs und der Kosten.

Bei den deutschen Zulieferern ist, einer Aufstellung der Industriekreditbank gemäß, in der Gruppe von 100 bis 500 Millionen Euro Umsatz allein zwischen 2005 und 2006 die Investitionsquote von 7,5 auf 6 Prozent gefallen – wohl aus Mangel an finanziellen Ressourcen. Der Preisdruck und die Abwälzung von Risiken durch manche Abnehmer, plus steigende Material- und Energiepreise, bleiben nicht ohne Konsequenzen. Entwicklungsvorleistungen werden zum „Must“, das IG-Metall-Chef Huber zufolge nicht angemessen bezahlt wird.

Kooperationen für Klimaschutz und sichere Karosserien

Entwicklungs-Know-how wurde zum Beispiel beim Projekt „Next Generation Vehicle“, das 2004 gestartet worden war, zusammengeschweißt. Die Autoproduzenten Audi, BMW, DaimlerChrysler, Fiat, General Motors/Saab und Ford/Volvo machten sich Wissen und Erfahrungen der Edelstahl-Hersteller ThyssenKrupp Nirosta (Deutschland), Outokumpu (Finnland) und ArcelorMittal Stainless (Frankreich) zunutze, um für zukunftstaugliche Autos das Gewicht von nichtrostendem Edelstahl zugunsten des Klimaschutzes zu senken und dennoch den wachsenden Sicherheitsbedürfnissen gerecht zu werden. Durch eine größere Ausschöpfung der Möglichkeiten nichtrostender Stahle, die zudem eine hohe Festigkeit aufweisen, sollen PKWs auch bezahlbar bleiben.

Hybrid-Technologie als Hoffnungsschimmer

Die Menschen wollen ohne schlechtes Gewissen mehr oder weniger PS durch die Gegend kutschieren. Ohne eine immer bessere Abstimmung zwischen Herstellern und den zunehmend mehr Verantwortung übernehmenden Zulieferern, von denen schon jetzt 75 Prozent der Innovationen kommen, lassen sich Kraftstoffverbrauch und Emissionen beispielsweise durch Leichtbau mit hochfesten Stählen, Kunststoff und Aluminium, sowie durch energiefreundliche Antriebe, Hybrid-Technologie und Abgasnachbehandlungsmethoden nicht wesentlich senken.

Beispielsweise bei Hybrid-Lösungen sind wichtige Kooperationen auf der Herstellerseite, etwa Daimler, BMW, GM, und bei den Zulieferern, wie Continental und ZF, entstanden. Bosch trägt intensiv zu den Hybridprojekten von VW, Audi und Porsche bei, von denen Audi schon Ende des Jahres den Q7 Hybrid auf den Markt bringen will. Bei Porsche und VW sollen die Hybridautos in den nächsten zwei Jahren in Serie gehen.

Daimler und Continental stellten im März auf dem Genfer Autosalon ihr Hybridkonzept vor: Durch die Integration der Batterie in den Klimakreislauf des Fahrzeuges werden ein besseres Thermomanagement und höhere Betriebssicherheit erreicht.

Vorbildlich auch ZF Sachs: Der Zulieferer hat nach eigenen Angaben bisher rund 58 Millionen Euro in die Forschung und Entwicklung im Hybridbereich investiert. Mit Erfolg: Unter anderem in die neue S-Klasse, insgesamt jedoch fürs erste in acht Fahrzeuge von vier Herstellern, soll ab dem vierten Quartal dieses Jahres in Schweinfurt das Hybridmodul „DynaStart“ eingebaut werden. ZF Sachs startet damit als erster deutscher Zulieferer die Serienproduktion von Hybrid-Modulen. Bei dem Modul werden Elektromotoren eingesetzt, die für die Integration im Antriebsstrang entwickelt wurden und speziell für Parallel-Hybridantriebe geeignet sind. Elektro- und Verbrennungsmotor werden parallel nebeneinander geschaltet und können zusammen oder einzeln genutzt werden.

Lithium-Ionen-Batterien für mehr Bewegungsfreiheit

Ab September wollen die Robert Bosch GmbH und die koreanische Samsung SDI Co. Ltd. Lithium-Ionen-Batterie-Systeme zusammen entwickeln, sowie ab 2010 fertigen und vertreiben. Am Joint Venture mit dem Namen „SB LiMotive Co. Ltd.“ und Hauptsitz in Korea sind die Robert Bosch GmbH, die 150 Millionen Euro investiert, und Samsung SDI CO. Ltd. jeweils mit 50 Prozent beteiligt. Lithium-Ionen-Batterien sind sowohl bei Hybrid-, als auch bei elektrischen Antrieben die greifbarste Lösung für zukunftsorientierte Automobile. Für Hybridautos rechnet Bosch bis 2015 mit einem Markt von weltweit 3,4 Millionen Stück, wobei sich die Nachfrage gegenüber der Gegenwart mehr als verfünffachen würde. Gewichts- und Kostenprobleme werden den Einsatz der Batterien in reinen Elektroautos voraussichtlich noch verzögern.
Bosch bringt aus dem Projekthaus Hybrid Know-how aus den Bereichen Leistungselektronik, Batteriemanagement, elektrische Maschine, Getriebe und Gleichspannungswandler mit. Samsung SDI Co. Ltd kümmert sich um die Weiterentwicklung von Lithium-Ionen-Batterien. In dieser Technologie ist Samsung bereits jetzt weltweit führend. Das Unternehmen produzierte im vergangenen Jahr 376 Millionen Lithium-Ionen-Batterien für Hersteller von Notebooks, Mobiltelefonen und Elektrowerkzeugen.

Der Elektronikkonzern Matsushita wird ebenfalls ab 2010 mit der Serienfertigung von Lithium-Ionen-Batterien für Hybridautos starten – zusammen mit dem Pionier bei der Produktion von Hybridfahrzeugen mit kombiniertem Elektro- und Benzinmotor, Toyota.

Lithium-Ionen-Zellen, die (Teil-)Elektroautos eine deutlich größere Reichweite bringen sollen, werden seit dem Frühjahr in Frankreich von Johnson Controls, einem der weltweit führenden Unternehmen in der automobilen Innenausstattung und Elektronik, sowie für Batterien, und dem Lithium-Ionen-Zellen-Spezialisten Saft hergestellt. Eine neue Testflotte von Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen der Marke Ford, die mit derartigen Batterien ausgestattet sind, ist seit Juni in den USA unterwegs. Zudem präsentiert Johnson Controls einen Innenraum für das wachstumsstarke Mittelklasse-Sport Utility Vehicle (SUV)-Segment – Teil eines Konzeptfahrzeugs, das bereits jetzt die Altautoverordnung 2015 fast komplett erfüllt und dessen Teile beinahe alle einbaubereit für die nächste Fahrzeuggeneration verfügbar sind. In den Kofferraum ist die neue Lithium-Ionen-Plug-in-Hybrid-Batterie integriert, die für einen emissionsarmen Betrieb des Fahrzeugs sorgen soll. Teams in den USA fertigten die Mittelkonsole und die Batterie.

Zündende Ideen für Antrieb und Anzeigen

Wachstum lässt sich im Automobilbereich vor allem durch Innovationen, speziell bei Emissionen, Verbrauch und Gewicht, also rund ums Antriebskonzept, und bei den für die Elektronik wesentlichen Werkstoffen erreichen. „Konzertierte Aktionen“ zwischen Herstellern und Zulieferern, gefördert von der Politik, sollen längerfristig zu alternativen Antriebskonzepten, etwa mithilfe der Brennstoffzelle, führen, und mittelfristig Energie beim Fahren sparen: Zu den Innovationen aus der Zuliefererindustrie gehören die Dieseleinspritzung der dritten Generation, Schaltanzeigen und Leichtlaufreifen.

Bosch beispielsweise hat VW darin unterstützt, den Total-Flex-Motor zu entwickeln. Dieser flexible Antrieb fährt mit jedem Mischungsverhältnis zwischen Benzin und Ethanol, von 100 Prozent Alkohol bis 100 Prozent Benzin. Pro Jahr gibt Bosch insgesamt mehr als drei Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus und meldet über 3.000 Patente weltweit an, unter anderem für Kraftfahrzeugtechnik.

Auch Zulieferfirmen wie 3M, Alfmeier, AUNDE, BERU, Bertrandt, Bühler, Cherry, Continental, Delphi, Die Wethje, Dräxlmaier, Eybl International, ESG, GKN, Grammer, HÖR Technologie, Ident-Technology, IVM Automotive, Laird Technologies, Lear Corporation, LEONI, Magna Donnelly, Metzeler, Nexans, Preh, Peguform, RECARO, REHAU, Schaeffler, SCHOTT, TRW Automotive, Webasto und W.E.T. Automotive Systems bringen die Automobilbranche mit umwelttechnisch wertvoll nutzbaren Innovationen voran.

Ausgezeichnet wurde die BASF von Volkswagen als Top-Lieferant mit dem „Group Award 2008“, insbesondere für die weiterentwickelte Bremsflüssigkeit Hydraulan® 404. Hydraulan erhöht die Bremsleistung von Fahrzeugen und entlastet die Umwelt durch längere Wartungsintervalle. Ein Drittel weniger Bremsflüssigkeit ist dadurch zu entsorgen.

Fertigungsfertig servierte Allradtechnik

Anleihen aus der Natur nahm sich der österreichische Entwicklungs- und Fertigungspartner von Autoherstellern, Magna Steyr, im Design für den MILA Alpin, einen kompakten Offroader, in den verschiedene alternative Antriebsarten integriert werden können. Alle innovativen Komponenten, wie Energiespeichersysteme und das Know-how für Hybridantriebe des Allrad-Autos, stammen aus der hauseigenen Vorentwicklung.

Realisiert werden kann das Freizeit- und Nutzfahrzeug mit verschiedensten Herstellern, wobei man sich bei Magna Steyr für die Zukunft auch einen Wasserstoff- oder Elektroantrieb vorstellen kann (mehr Infos siehe Interview).

Bleibt zu hoffen, dass sich die Automobilhersteller nicht zu lange Zeit lassen, die Idee aufzugreifen, in der Natur verkehrende Fahrzuge auch umweltfreundlich zu bauen.

Magna Steyr ist eines von vielen Beispielen, wie Zulieferer mit ihrem geballten Know-how innovationstechnisch in Richtung Verbrauchs- und Emissionssparsamkeit vorangehen. Solange ihnen durch verschiedensten Druck, nicht nur infolge von ständig geforderten Preisnachlässen, dabei nicht die Puste ausgeht…