07.02.2010

„Deutsch war nicht die Sprache der Nazis. Es war meine Sprache.“

von Eckhard Fürlus

Edgar Hilsenrath in der Edition Zeugen einer Zeit

Erinnerungen werden vor allem über die gesprochene und geschriebene Sprache übermittelt. In der Edition Zeugen einer Zeit ist nun vom Verein Aktives Museum Spiegelgasse für Deutsch-Jüdische Geschichte in Wiesbaden eine Doppel-CD erschienen, auf der Edgar Hilsenrath aus seinem Leben erzählt. Vorausgegangen waren je eine CD von Arno Lustiger und Trude Simonsohn.

Jemandem als Stimme zu behandeln heißt, dieser Person Autorität zuzuerkennen.
Susan Sontag

„Deutsch war nicht die Sprache der Nazis,“ hat Edgar Hilsenrath einmal formuliert. „Es war meine Sprache.“Edgar Hilsenrath, Sohn eines Pelzhändlers, wird 1926 in Leipzig geboren. 12 Jahre später muss er mit seiner Mutter und seinem Bruder in die Bukowina in Rumänien fliehen. Mit 14 fasst er den Entschluss, Schriftsteller zu werden. Nach der Deportation in das Ghetto Moghilev-Podolsk und der Befreiung durch russische Truppen im März 1944 wandert er 1945 nach Palästina aus, wo er als Gelegenheitsarbeiter seinen Lebensunterhalt verdient. Er scheitert bei dem Versuch, einen Roman über das Überleben der Juden im Ghetto zu schreiben.

Erst 1949 überwindet Hilsenrath seine Schreibblockaden. Über Frankreich, wo seine Familie den Krieg überlebt hat, wandert er 1951 in die USA aus. Er schreibt weiter an seinem Roman Nacht, der 1964 in Deutschland erscheint, wegen befürchteter antisemitischer Reaktionen aber vom Markt genommen wird. 1966 erscheint das Buch in den USA. Sein zweites Buch Der Nazi und der Friseur erscheint dort 1971 und beschreibt in Form einer Groteske die Massenvernichtungen aus der Sicht eines Täters. Nun sieht sich Verfasser mit dem Verdikt konfrontiert, dass man über den Holocaust keine Groteske schreiben dürfe. 1975 kehrt Edgar Hilsenrath nach Deutschland zurück.

In einer Einladung zu einer Veranstaltung über das Werk Edgar Hilsenraths schreibt das Italienzentrum der Freien Universität Berlin: „Edgar Hilsenrath ist kein bequemer Schriftsteller, seine Figuren sind keine Heroen und das Lachen, das ihre pikaresken Abenteuer zuweilen hervorrufen, bleibt dem Leser im nächsten Zuge auch wieder im Halse stecken.“

Die Edition Zeugen einer Zeit lässt Menschen zu Wort kommen, die die Schoah und den Widerstand gegen den Nationalsozialismus überlebt haben. Dabei beschränken sich die Erzählenden nicht auf die Jahre der faschistischen Diktatur, sondern sie nehmen uns mit in ihr gesamtes Leben, teilen mit uns ihre Erinnerungen an Kindheit und Jugend und berichten uns, wie sie sich damals ihre Zukunft vorgestellt hatten.

  • CD Cover

Gabriele Diedrich, die das Konzept zu dieser großartigen und verdienstvollen Edition erarbeitet hat, schreibt dazu: „Mir geht es bei der Bearbeitung der Aufnahmen neben der Verständlichkeit auch um den Erhalt der Authentizität der Stimmen. Und hier handelt es sich um alte Stimmen. Unsere Sprechgewohnheiten verändern sich ja stark mit dem Alter, vor allem bedingt durch den Atem. Ich weiß nicht, wie viele Stimmen ich schon im Ohr hatte, aber Hilsenraths ist die größte, der ich bisher begegnen durfte. Wie da der Atem die Worte hervorkämpft, begleitet von einem fast ständigen Knurren, wie er den Rhythmus wechselt usw., das ist schon besonders und für die Hörgewohnheiten, die sich im Zusammenhang mit der Hörbuchliteratur herausgebildet haben, sicher eine Herausforderung.“

Das Booklet zur CD enthält zahlreiche Fotos Edgar Hilsenraths, eine detaillierte Biographie und mehrere Texte zur Geschichte Deutschlands und Palästinas, über den Verleger Helmut Kindler, sowie eine Übersicht über die Auszeichnungen und Preise, die Edgar Hilsenrath für sein schriftstellerisches Werk erhalten hat.

Die Doppel-CD kostet 19,50 €, und ist erhältlich im Buchhandel (ISBN 978-3-941289-03-1) oder über

Aktives Museum Spiegelgasse für Deutsch-Jüdische Geschichte in Wiesbaden e. V.
Spiegelgasse 9
65183 Wiesbaden

Telefon 0611.30 52 21
Telefax 0611.30 56 50
e-mail info@am-spiegelgasse.de

Unter www.am-spiegelgasse.de und www.erzaehlte-erinnerungen.de kann man im Internet weitere Informationen zum Aktiven Museum und zur Edition Zeugen der Zeit finden.