02.01.2005

"Mit Gott und Weltall spiel ich kühne Spiele!"

von Eckhard Fürlus

Der Dichter und Schriftsteller Otto Erich Hartleben

Der Dichter

Ist’s nicht im Grunde wesenloser Tand,
was ich an Reimen aneinander füge?
Ist’s nicht im Grunde eine bunte Lüge,
was ich in müßig heitrem Spiel erfand?

Scheint dir mein Reimgebäude imposant?
Merkst du denn nicht, wie keck ich dich betrüge,
dieweil ich mich mit jedem Reim begnüge,
den mir der Zufall grade legt zur Hand? –

Mit Gott und Weltall spiel ich kühne Spiele!!
Der Dichter wird Jongleur – er wirft im Nu
der allerzartesten Gegenstände viele

hoch durch die Luft – es glückt ihm Coup auf Coup,
denn Alles kehrt zurück zu ihm – dem Ziele ...
Gott ist die Welt – und Gott und ich sind du!

Hartleben gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des deutschen Naturalismus.

Der Dichter, der sich in diesem Gedicht selbstkritisch, aber wohl auch ein wenig kokett und selbstverliebt portraitiert hat, ist der am 3. Juni 1864 in Clausthal im Harz geborene Schriftsteller Otto Erich Hartleben. Am 11. Februar 2005 jährt sich zum einhundertsten Mal sein Todestag. Wesentliche Impulse für sein dichterisches Schaffen empfing Hartleben während seiner Schülerzeit am Mariengymnasium in Jever.

Hartleben gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des deutschen Naturalismus. Sein schriftstellerisches Werk umfaßt Dramen, Komödien und Erzählungen. Hartleben ist Herausgeber eines Goethe-Breviers. Mit Rudolf Steiner, dem späteren Begründer der Anthroposophie, gab er in Berlin das "Magazin für Literatur" heraus. Bekannt wurde Hartleben durch sein 1900 erschienenes Offiziersdrama "Rosenmontag", ein Bühnenstück, das ihm neben literarischer Anerkennung auch großen finanziellen Erfolg bescherte. Otto Erich Hartleben brachte einen neuen Ton in die deutsche Erzählkunst, der ihm den Beinamen eines "deutschen Maupassants" eintrug. Ganz besonderen Wert legte Hartleben auf seine Gedichte.

Zu den wichtigsten Werken Otto Erich Hartlebens gehört die Übertragung des von Albert Giraud verfaßten Gedichtzyklus’ "Pierrot lunaire" aus dem Französischen ins Deutsche. 1893 – Hartleben ist zu dieser Zeit noch nicht dreißig Jahre alt – erschien dieser Zyklus aus insgesamt fünfzig Gedichten, sogenannten Rondeaus, erstmals im von Paul Scheerbart gegründeten Verlag der Phantasten in Berlin. Eine Auswahl von dreimal sieben Gedichten aus dem "Pierrot lunaire" hat der Komponist Arnold Schönberg 1912 als op. 21 für Sprechgesang und Kammerensemble vertont.

Zusammen mit fünf Geschwistern wächst Otto Erich Hartleben in Clausthal im damaligen Königreich Hannover in einer Familie auf, die seit Generationen zum Harzer Bergbeamtentum gehört. Die Mutter, Elwine Hartleben, stirbt, als Otto Erich zwölf Jahre alt ist. Als ihr 1879, nur zweieinhalb Jahre später, der Vater folgt, werden die Kinder vom Großvater, dem Bergschmiedemeister und Senator Ernst Eduard Angerstein betreut.

Im Herbst 1879 wird Otto Erich Hartleben als Tertianer von seinem Großvater nach Jever geschickt. Dort lebt ein Freund seines verstorbenen Vaters, der Gymnasialdirektor Ernst Ramdohr, der sich um den Jungen kümmern soll. Über diesen "Onkel Ramdohr" hat Hartleben später geschrieben, er sei "der einzige von all den vielen, die in diesem Leben den vergeblichen Versuch gemacht haben, mich zu erziehen, mit dem ich heute noch in freundschaftlichem Einvernehmen stehe." Als Direktor des Mariengymnasiums bewohnt Ernst Ramdohr das Haus an der Terrasse 7 in Jever. Er ist bemüht, seinem Neffen ein wirkliches Zuhause zu schaffen und lädt den fünfzehnjährigen Otto Erich gelegentlich zu Schach und Bier. Er besorgt dem Jungen alle Bücher, die dieser verlangt, denn in Jever beschäftigt Hartleben sich vor allem mit der Metrik der Gedichte von August Graf von Platen. Dessen Sonetten- und Odenformen schreibt er auf Löschblätter. In sein Tagebuch notiert Hartleben, daß er in Jeverschen Tagen "dauernd skandierte" und "mit Platen aufstand und mit Platen zu Bett ging". Man kann – wie Hein Bredendiek vermutet hat – davon ausgehen, daß die Grundlage zu Hartlebens späterer dichterischer Tätigkeit in Jever gelegt wurde.

Hartleben galt als wenig disziplinierter Schüler, der sich früh gegen alles Autoritative auflehnte und satirisch-kritische Züge entwickelte.

Ob Ernst Ramdohr ein Onkel oder lediglich ein Nenn-Onkel des jungen Hartlebens war, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Hein Bredendiek hat darauf hingewiesen, daß Hartleben trotz "direktoraler Vorhaltungen" sich um ernsthafte Schularbeit nicht kümmerte. Sein Interesse konzentrierte sich auf die Fächer Deutsch und Literatur. Als Neffe des Direktors genoß er gewisse Freiheiten, die ihm seine Mitschüler neideten. Hartleben galt als wenig disziplinierter Schüler, der sich früh gegen alles Autoritative auflehnte und satirisch-kritische Züge entwickelte. Als er sich eines Tages dazu verstieg, seinen "Onkel Ramdohr" anläßlich eines ausgefallenen Aufsatzthemas zu parodieren, kam es zum Streit, und Ostern 1881 wurde der Aufenthalt des ambitionierten Jungdichters in der "Stadt der Kiebitzeier"– so Hartleben – nach eineinhalb Jahren beendet.

Von 1881 bis 1885 besucht Otto Erich Hartleben das Gymnasium in Celle. Hartleben ist auch hier kein besonders guter Schüler; allein im Fach Deutsch hat er eine gute Note. Der Direktor des Celler Gymnasiums, Ebeling, bescheinigt ihm, daß Hartlebens scharfer Verstand sich schon früh auf hohe Dinge wie Literatur und Schopenhauersche Philosophie geworfen habe. Nach dem Abitur und der im Jahr 1989 bestandenen Referendarprüfung im Jahr 1889 – Hartleben hatte, dem Druck seiner Verwandten nachgebend, in Leipzig und Berlin Jura studiert – läßt er sich im Herbst 1890 als freier Schriftsteller in Berlin nieder. Dort wird er bald einer der temperamentvollsten Mitstreiter der jungen Dichtergeneration, die sich gegen das Epigonentum wendet und eine "Wirklichkeitskunst der Natürlichkeit und Wahrheit im Sinne Ibsens, Tolstois und Zolas" anstrebt. Als Mitglied des Friedrichshagener Dichterkreises lernt er Wilhelm Bölsche, Richard Dehmel, die Brüder Heinrich und Julius Hart, Gerhard Hauptmann, August Strindberg und Bruno Wille sowie den Architekten Peter Behrens kennen, ferner Bohemiens und Künstler, Anarchisten und Intellektuelle, auf die der Dichterkreis eine große Anziehungskraft ausübt.

[...] nachzugeben und sich in Salò am Gardasee einen Dichtersitz, die Villa Halkyone, zu kaufen, die er zu einer Dichterakademie ausbauen will.

Seit 1891 gehört Hartleben dem Vorstand der "Volksbühne" an. Sein Durchbruch als Schriftsteller gelingt ihm 1900 mit dem Sozialdrama "Rosenmontag", eine wirksame, dichterisch jedoch wenig bedeutende Offizierstragödie. Dieses Schauspiel machte ihn schlagartig bekannt und finanziell unabhängig. Hartleben sieht sich nun in die Lage versetzt, seiner Sehnsucht nach dem Süden, wie sie in vielen seiner Gedichte bekundet ist, nachzugeben und sich in Salò am Gardasee einen Dichtersitz, die Villa Halkyone, zu kaufen, die er zu einer Dichterakademie ausbauen will. Ab 1901 lebt Hartleben abwechselnd in München und in seiner Villa Halkyone am Gardasee. Über diese Zeit hat Hein Bredendiek geschrieben: "Man saß auf den Marmorsitzen der Villa 'Halkyone' unter Weinlaub und Lorbeerbäumen und las aus eigenen Arbeiten. Hartlebens Akademie der Lebensfreude war auf eigene Art ausgestattet: im Wohnraum der Villa gab es 20 Wandnischen, die zwar nicht für Vasen und Statuen, dafür aber für Weinflaschen in großer Auswahl bestimmt waren."

Der Hang zu alkoholischen Getränken und sein über Jahre anhaltender, unmäßiger Weinkonsum führt schließlich dazu, daß Hartleben nach körperlichem Leiden im Alter von nur 40 Jahren, am 11. Februar 1905, in Gardone am Gardasee stirbt. Die Villa Halkyone, die Hartleben zu einem Treffpunkt der Dichter, einer "Halkyonischen Akademie für unangewandte Wissenschaften" ausbauen wollte, vermacht er seiner Jugendfreundin Ellen Birr. Unter der Leitung des Arztes Dr. Goldschmidt wird die Villa später zu einem Sanatorium für "Rekonvaleszenten und Kranke der Respirationsorgane".

In seinem Testament hatte Otto Erich Hartleben verfügt, daß nach seinem Tod sein Leichnam in der Stadt Brescia eingeäschert, der Kopf allerdings vorher vom Körper getrennt und nach Deutschland gebracht werden sollte. Diese Aufgabe fiel dem Arzt Dr. Lehmann zu. Der Schriftsteller Max Halbe war Zeuge der Einäscherung Hartlebens und hat über diesen Vorgang in einem autobiographischen Text geschrieben. Die Asche und der Kopf Hartlebens wurden am 25. März 1905 in Berlin-Treptow beigesetzt. Bis 1948 befand sich die Urne Otto Erich Hartlebens in der Urnenhalle in Treptow; sie wurde am 18. November 1948 im Familiengrab seines Schwagers, der mit der jüngsten Schwester Hartlebens verheiratet war, auf dem Göttinger Stadtfriedhof aufgestellt. Dort hat Otto Erich Hartleben seine letzte Ruhestätte gefunden.