Im Rahmen der Russischen Kulturtage in Deutschland und anlässlich des 300. Gründungsjahres der Stadt St. Petersburg fand am 4. und 5. Juli in der Kulturbrauerei im Bezirk Prenzlauer Berg das Sergey Kuryokhin International Festival Berlin 2003 statt. Hier trafen sich 29 Bands aus Russland, Ungarn, Estland, Deutschland, USA, Holland und Polen und spielten auf zwei bzw. drei Bühnen zum Gedächtnis an den 1996 im Alter von 42 Jahren verstorbenen Namensgeber, den Musiker und Komponisten Sergey Kuryokhin.
Sergey Kuryokhin gehörte zu den wichtigsten russischen Jazz- und Avantgardemusikern. Mit seinem Projekt, der Popularnaja Mechanika, kurz Pop Mechanika, einem multimedialen Performance-Ensemble, veröffentlichte Kuryokhin insgesamt acht Alben, darunter 'Leningrad West-Berlin' einem Live-Mitschnitt, aufgenommen in Riga im April 1987 mit Max Lenz, Viktor Roj und Westbam. Zu den renommiertesten Künstlern, mit denen Kuryokhin zusammengearbeitet hat, zählen Laurie Anderson, Brian Eno, Fred Frith, David Moss, Rebecca Horn und Sergey Ovtscharov.
Das erste Sergey Kuryokhin International Festival 'kurz SKIF' fand 1996 unter der Schirmherrschaft der von Anastasija Kuryokhin ins Leben gerufenen Sergey-Kuryokhin-Stiftung statt. Seit 1997 ist St. Petersburg regelmäßiger Austragungsort des Festivals, das bereits zweimal in New York gastierte. 2005 wird das SKIF in Paris zu sehen und zu hören sein.
Ein paar Tage vor dem Festival in Berlin verzeichnen Plakate und Einladungskarten in großen Lettern die Namen der Special guests des Festivals John Cale, Holger Czukay und Fred Frith. Die wichtigsten russischen Bands und Musiker 'Namen wie Wladimir Wolkow, Auktyon, TMS, Ole Lukkoye, Die letzten Panzer in Paris, Messer Chups, RotFront und Pushkin Boom Beat' finden sich im kleiner Gedruckten resp. auf der Rückseite der Einladungskarte wieder.
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Am 4. Juli gegen 19:15 eröffnen Tres Muchachos aus St. Petersburg draußen auf der Open air Bühne den Konzertabend. Mit ihren zwei Gitarristen und wenigstens drei Percussionisten erinnern sie entfernt an eine sich auf mexikanische Folklore kaprizierende Petersburger Variante der Grateful Dead von 1975, lenken von dem soeben einsetzenden Regen ab und bringen die noch nicht sehr zahlreichen Zuhörer zum Tanzen. Getanzt wird auch zu der Musik von RotFront, als sie ihre schon fast legendäre Coverversion von 'Die Roboter' von Kraftwerk spielen. Hauptact an diesem Abend ist ohne Zweifel John Cale. Vorsorglich wird noch einmal darauf hingewiesen, dass das Fotografieren strengstens verboten ist und den Abbruch des Konzerts zur Folge haben wird. Entsprechend hoch gesteckt sind die Erwartungen an den Auftritt des ehemaligen Mitglieds der New Yorker Band Velvet Underground und seine aktuelle Formation, mit der er in diesen Tagen durch Deutschland tourt und deren Musik auf dem Programmblatt unter ArtNoise kategorisiert wird. Doch seine für diesen Abend ausgewählten Songs hat Cale mit seiner Band so behauen, dass keine Ecken und Kanten übrig bleiben, und auf Moments musicaux voller Spannung und Überraschungen, also das, wofür John Cale und seine Musik einmal standen, wartet man bei diesem Konzert vergeblich.
Am zweiten Abend wird dem Programm entsprechend nur noch auf zwei Bühnen musiziert. Im Palais regiert die freie Improvisation, und es ist einfach wunderbar, Wladimir Wolkow bei seinem innig-virtuosen Spiel auf dem Kontrabaß zuhören und zuschauen zu können. Peter Brötzmann, Urgestein des Free Jazz und der Improvisation und nicht zuletzt durch die Arbeit mit seinem Chicago Tentet auch transatlantisches Bindeglied, unterbricht seinen solistischen Vortrag, um auf die von zwei Selbstmordattentäterinnen, sogenannten schwarzen Witwen, verübten Anschläge während eines Rockkonzerts auf dem Flugplatz Tuschino in Moskau hinzuweisen und seine Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Festivals zu artikulieren. Nach Peter Brötzmann betritt Fred Frith die Bühne, setzt sich auf einen Hocker und bedient barfuss wie Sandy Shaw seine an die Gitarre angeschlossenen Geräte und Regler und erzeugt damit einen schweren, doch fein gewirkten Klangvorhang.