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15.06.2009

Die Kämpfe der Philosophen

Autor/en: Kurt Flasch

Rezension: Eva Sietzen
Flasch will keine alten Einsichten ins Heute retten, sondern die Dynamik der historischen Entwicklung deutlich machen.

Eine Geschichte der Philosophie des Mittelalters erzählt als eine Folge von erbittert ausgefochtenen Kämpfen zwischen Philosophen, von größtenteils polemisch geführten Auseinandersetzungen, gut dokumentierten Kontroversen, (Kampf-)Schriften. Der emeritierte Bochumer Philosophieprofessor Kurt Flasch, für den das Mittelalter im 5. Jahrhundert beginnt und sich erst im 18. Jhdt verliert, wählt die von ihm vorgestellten Autoren und Positionen danach aus, ob sie zu Lebzeiten von einem ebenbürtigen Kontrahenten bekämpft wurden. Das habe den Vorteil, dass eine willkürliche Modernisierung vermieden werde, denn es kommen Einwände zur Sprache, die von Zeitgenossen erhoben worden sind. (S. 128). Freilich, wenn man so auswählt, lässt sich die These leicht stützen, dass die Philosophiegeschichte eine Geschichte von erbitterten Kontroversen gewesen sei und kein langer ruhiger Fluss der Weisheit jenseits aller Parteiungen, – doch wer hatte das je behauptet? Flasch will keine alten Einsichten ins Heute retten (S. 10), sondern die Dynamik der historischen Entwicklung deutlich machen. Er will keine ‚Systeme’ oder Synthesen aufzeigen, die die Einheit ihrer Konstruktion immer ihrem Interpreten verdanken, sondern ‚Netzwerke’, Debatten oder eben gar Kampfsituationen. „Das Zeitlose ist das Unwahre“, geschichtliches Wissen kennt keine Ewigkeit, so lautet die zugespitzte Prämisse, es untersucht, wie Gruppen und Einzelne sich in prekären Situationen orientieren. Es jagt nicht nach dem Überzeitlichen, wie dies die Philosophie des Abendlandes, zumindest seit ihrem Aufkommen im antiken Griechenland überwiegend getan hat. Eine Darstellung der Geschichte der Philosophie auf Grundlage von größtenteils polemisch geführten Auseinandersetzungen, - Flasch sieht durchaus selbst die Problematik dieser Vorgehensweise und thematisiert das auch: Komplexe Gedankenwelten großer Autoren wie Anselm von Canterbury oder Eriugena müssen zu kurz kommen, wenn sie nur mit Hilfe des umstrittenen Teils dargestellt werden. Manche anderen wichtigen Autoren werden erst gar nicht behandelt, weil sie eben keinen zeitgenössischen Gegner hatten, von dem eine polemisch geführte Kontroverse dokumentiert ist.

Flasch selbst beteiligt sich indes in seiner Darstellung ungeniert an den polemisch geführten Debatten. Es wird immer sehr rasch klar, auf welcher Seite er steht. So ergreift er gleich im ersten Kapitel deutlich Partei gegen den späten Augustin, mit seiner die Philosophie und den freien Willen des Menschen verachtenden Gnadenlehre und für Julian, der ein vernunftfreundlicheres Bild von Gott und menschlicher Selbstbestimmung vertrat. Ebenso deutlich nimmt er Partei für Berengar von Tours, der auf Grundlage der logischen Schriften des Aristoteles für ein symbolisches Verständnis des Abendmahls eintrat ist und gegen die Auffassung, der Leib Christi werde von den ‚Zähnen der Gläubigen zermalmt’. Auch Anselm von Canterbury und Abälard kommen ausgesprochen gut weg, weil sie, wie schon Berengar, die Theologie zur Vernunft zu bringen suchten, sie der Philosophie annäherten, wenn nicht mit ihr verbanden. Wie Berengar bezogen sie sich auf eine neue Rationalität. Was bisher nur geglaubt wurde, das wollten sie als Vernunftnotwendigkeit erweisen, logisch nachprüfbar, in einfacher Sprache. (S.96) Ausdrücklich verteidigt Flasch die Beschäftigung mit solchen Texten wie dem Gottesbeweis von Anselm. Die seien durchaus keine reine Theologie, sondern enthielten mehr philosophisches Gedankengut als genuin philosophische Texte. Diskussionen über Trinität und Abendmahl seien keine ‚innertheologischen Streitigkeiten’, sie konnten vielmehr „Herrschaft stabilisieren, Throne ins Wanken bringen und politisch-kulturelle Regionalcharaktere ausdrücken“(S. 84).

Ganz offensichtlich ist dieses Buch auch eine Kritik am universitären Philosophiebetrieb und der dort überwiegend gepflegten problemgeschichtlichen Herangehensweise.

Ganz offensichtlich ist dieses Buch auch eine Kritik am universitären Philosophiebetrieb und der dort überwiegend gepflegten problemgeschichtlichen Herangehensweise. In einer Vorbemerkung zum 5. Kapitel wirft er auf die sogenannten ‚ewigen Menschheitsprobleme’ einen kritischen Blick. „Es scheint gar nicht so sicher, dass ‚Probleme wiederkehren'.“(S. 70) Der Konflikt von z.B. ‚Freiheit’ und ‚Notwendigkeit’ komme zwar in der Geschichte der Philosophie vielfach vor. Aber die problemgeschichtliche Methode könne eben nicht erklären, warum um 800, also bei Alkuin, das Problem von göttlicher Vorherbestimmung und Freiheit nicht auftaucht, während es 50 Jahre später in der Auseinandersetzung um Gottschalk und Scotus Eriugena zu tumulthaften Bischofsversammlungen geführt habe. (S. 71)

Wenn Flasch philosophische Gedanken historisch verstanden wissen will, dann bedeutet das für ihn fast immer, sie in Beziehung zu gerade geltenden politischen Machtverhältnissen zu sehen. Flasch scheut sich nicht, Forderungen zu formulieren, wie die Darstellung philosophischer Gedanken zu geschehen habe. „Man suche eine ältere Philosophie also am Ort ihrer Entstehung auf. Man verfolge aus den Quellen, welche Aufgaben man mit ihrer Hilfe lösen wollte. (...) Wie ein Mensch sich selbst versteht, welchen Wert er sich zuordnet und wie er sein Leben und seinen Tod deutet – dies entspringt geschichtlichen Bedingungen und greift verändernd in sie ein. Eine große Philosophie mag diejenige heißen, die vorgegebene Zielvorstellungen, Welt- und Wertkonzepte klar ausspricht, dadurch kritisierbar macht und neue Denkregeln argumentierend akzeptabel macht.“(S. 57/58)

Aber ein Freund der Scholastik ist Flasch nun gerade nicht.

Wichtige Kontroversen, wie die zwischen Heinrich von Gent und Thomas, oder die zwischen Duns Scotus und Ockham fehlen jedoch. Die Liste ließe sich erweitern, denn es ist gerade ein Kennzeichen der Philosophie des 13. und 14. Jahrhunderts, dass sie in ihren großen Summen in aller Ausführlichkeit ihre Gegner zu Wort kommen lässt, deren Argumente prüft, um schließlich ihre eigene Antwort zu geben und die Gegenargumente zu widerlegen. Das war die im Mittelalter begründete Methode der Disputation, das Abwägen des Für und Wider, zuerst eingeführt durch Abälard dann durch Petrus Lombardus Sentenzenbuch etabliert. Aber ein Freund der Scholastik ist Flasch nun gerade nicht. Im Kapitel über Albertus Magnus würdigt er kurz die sorgfältige Vorgehensweise der ‚Normalform’ scholastischer Argumentation. Albert stellt, um ein Problem, eine Frage zu lösen, 30 Pro-Argumente 36 Contra-Argumenten gegenüber, um dann, nachdem er seine eigene Meinung dargelegt hat, die zunächst vorgestellten 30 Pro-Argumente zu widerlegen. „Abälards Gegenüberstellungen widersprechender Autoritäten und seine Forderung nach rationaler Auflösung solcher Konflikte waren damit zu einer stehenden Form geronnen. Albert zeigte ihre Vorzüge. Er ging sorgfältig auf Ansichten und Einwände ein; er wälzte ein ungeheures Material um; er achtete bei Argument und Gegenargument auf subtil-knappe Präsentation“(S.170). Und doch fragt Flasch in seinem nächsten Kapitel, ob der Aristotelismus im lateinischen Westen den wissenschaftlichen und politischen Fortschritt (daran also glaubt Flasch!) gehemmt oder gefördert habe (S. 178). Die Antwort auf diese Frage falle nicht leicht, weil zu viele Materialien noch unbekannt seien. Tatsächlich fällt aber, wie in den folgenden Kapiteln deutlich wird, Flasch die Antwort gar nicht so schwer, sein Antiaristotelismus wird immer deutlicher, bis er am Ende des Cusanus Kapitels die Rückkehr des Sokrates feiert. Aber ein Einwand wird schon gleich hier genannt: „Die Forderung, das Wissbare müsse das Reale sein (im Intellekt sind Denkakt und Sachen identisch), die Bevorzugung des Endlichen vor dem Unendlichen verbot der individuellen Erfahrung philosophisch zu Wort zu kommen.“(S.177) Eine Diffamierung, die vor allem deshalb schwer nachvollziehbar ist, weil er es versäumt, das aristotelische Denken des Mittelalters zunächst einmal sorgfältig darzustellen und nur im Rückblick darauf zu sprechen kommt. So ist z.B. die Lehre der Identität von Erkennendem und Erkanntem tatsächlich aristotelisch und wird auch von Thomas vertreten, jedoch von Ockham, der auch Aristoteliker ist, wird sie abgelehnt.

Die These Flaschs lautet, Schulen im Sinne der Scholastik seien erst im 13. Jh. nach der Gründung der Universitäten und dann vor allem im 14. Jahrhundert entstanden, vorher war die Philosophie 'von öffentlichem Interesse' und nie reiner Selbstzweck oder gar 'Geisteswissenschaft', die in ihrem Elfenbeinturm von allen gesellschaftlichen und politischen Fragen unberührt blieb und 'alle Realitätsbezüge eliminierte.'(S. 84). Flasch bevorzugt eindeutig eine Philosophie, die mit Rekurs auf die antike Tugendlehre das gute Leben, die Glückseligkeit, an die Einmischung in gesellschaftlich–politische Zusammenhänge bindet.

Sprache, Rationalität und Freiheit des Willens
Flasch bewertet Philosophien immer dann positiv, wenn sie sich gegen klerikale Strukturen wenden und die Rationalität, sowie das auf Vernunft gegründete selbstverantwortliche Handeln in der Welt befördern. So ist für ihn auch die ethisch-philosophische Sublimierung religiöser Vorstellungen positiv. Das Verständnis der Trinität als einer bildhaften Aussage über „die letzte oberste Einheit, die nicht nur als Einheit sondern auch als Vielheit gedacht werden musste, wenn aus ihrem Denken die Mannigfaltigkeit der Welt hervorgeht."(S. 97), ist eine neuplatonisch gefärbte Umdeutung der Trinität. „Jeder denkende Mensch sollte auf dem Grund seines Wollens und Wissens den in Anselms Sinn philosophisch gedachten ‚Gott’ auffinden können: Gott nicht als Himmelskaiser und Willkürherr, sondern als letzte Voraussetzung menschlichen Liebens, Bewertens, Benennens; Gott also als Grund der Vernunft, des Wollens und der Sprache. Wie bei Berengar sollten menschliche Gedanken die Anwesenheit des einheitlich vielheitlichen Weltgrundes beweisen.“(S. 97)

Zunächst wertet es Flasch positiv, wenn die frühmittelalterlichen Philosophen ihren Ausgang von der Analyse der menschlichen Sprache nehmen. So heißt es etwa in Bezug auf Alkuin und Berengar, die Orientierung an Grammatik und Dialektik habe einen Weg hin zu mehr Rationalität auch im Umgang mit theologischen Aussagen vermittelt. Und Anselm entdeckte die 'welterschließende Kraft' sprachlicher Strukturen. Er wollte zeigen, dass "in jeder sprachlichen Benennung eine realitätshaltige Identität angezielt wird, die in einer obersten Einheit begründet sei". (S. 97) Bei Abälard, der sich auch intensiv mit der Rolle der Sprache auseinandergesetzt hat, heißt es dann bereits, er habe begriffen, dass sie vom Menschen gemacht sei, und die reale Welt ebenso verdecken wie erschließen könne (S. 134). Er bestritt, dass allgemeinen Namen (wie ‚Mensch’) eine allgemeine Realität entspreche. Die Annahme realer Allgemeinnaturen führe zu Widersprüchen. Ockham schließlich wird von Flasch dafür gelobt, dass er ein dezidiert kritisches Verhältnis zur Sprache entwickelt habe, er bekämpfte die Verselbständigung von Wort und Abstraktionen und kritisierte Thomas und Avicenna, die dazu geneigt hätten, sprachliche Formen für die Formen der Welt zu halten. (S. 197) Auch Eckhart kritisierte die Überschätzung bloßer Namen, für beide Ockham und Eckhart war 'das naive Vertrauen in die sprachliche Ausgelegtheit der Welt dahin' (S. 213). Die Theologenkommission der päpstlichen Kurie in Avignon bekräftigte hingegen den Realitätsanspruch der Namen. „Namen, hatte sie geurteilt, werden nur den wirklichen Dingen, die erkannt worden sind, beigelegt.“(S. 213)

Im Falle Ockhams unterschlägt Flasch allerdings, welche ungeheuer wichtige Rolle die mentalen Begriffe (conceptus mentis) für ihn gespielt haben, die wie schon für Aristoteles, bei allen Menschen die gleichen sind, weil sie Eindrücke der Dinge in der Seele sind. Es sind natürliche Zeichen der Dinge, die durch eine Ursache-Folge-Beziehung zwischen Ding und Erkenntnis zustande kommen. Sie bezeichnen auf natürliche Weise an erster Stelle das, was die lautsprachlichen Zeichen nur ihnen untergeordnet an zweiter Stelle willkürlich bezeichnen. Sie sind nach Ockham in der Tat die einzigen Universalien, die es gibt, aber eben nicht willkürlich gesetzt und keine Erfindungen des menschlichen Geistes. Mit der Annahme, die mentalen Begriffe seien Auffassungsakte, die durch die Gegenstände selber verursacht werden, knüpft Ockham ein durchaus festes Band zwischen den res extra, den Dingen außerhalb unseres Geistes und den conceptus mentis, das die Möglichkeit gewisser Erkenntnis außerordentlich optimistisch sieht. Hätte Flasch sie berücksichtigt, hätte er aus Ockham nicht den radikalen skeptischen Zweifler machen können, der 'die Verbindung zwischen Erkenntnis und Gegenstand zerrissen' und 'die Axt an den Wissenschaftsbegriff gelegt’ habe. (S. 203)

Cusanus schließlich wendet sich gegen die aristotelische Grundunterscheidung von Substanz und Eigenschaften, Gattung und Art mit der Begründung, diese Prinzipien eindeutiger Unterscheidung orientierten sich an der Namensgebung und schlössen die Fülle und Mannigfaltigkeit der Individuen einer Art, die unendlichen Abstufungen aus dem jeweils spezifischen Wesen aus. (S. 233) Flasch nutzt nun die Darstellung der Philosophie von Cusanus, um auf der Folie der Streitschrift seines Gegners Johannes Wenck ein extrem negatives Bild vom Aristotelismus zu zeichnen. Wenck gehörte zur von Flasch so genannten 'Durchschnittsscholastik'. Dementsprechend verteidigte er die Denkstrukturen des Aristotelismus gegen ihre Bestreitung durch Cusanus. „Aus der Wohltat der Aristotelesrezeption wurde“ so Flasch, „die Plage schulmäßig organisiertem Aristotelismus. (...) Die Verurteilung Eckharts bedeutete, daß die Kirche nur noch eine dogmatisch gereinigte, eine möglichst formal verengte Philosophie förderte, die sich verabschiedete von Fragen des Glücks, der Lebensgestaltung, der Vergottung.“(S. 216) Cusanus hatte eingewandt, es könne nicht zwei oder mehrere Dinge geben, die sich so sehr ähnlich oder gleich wären, dass sie sich nicht noch unendlich ähnlicher sein könnten. (vgl. De docta ignorantia, Flasch S. 230) Für ihn waren die Unterschiede zwischen einzelnen Hunden ebenso wichtig, wie die zwischen Hund und Wolf. Wenck hingegen kritisierte die Annahme, es gebe unendliche Grade der Annäherung und der Entfernung zweier Dinge. Um diese dem Denken undurchdringliche Unendlichkeit auszuschließen, habe Aristoteles die 10 Stammbestimmungen, die Kategorien eingeführt, Cusanus zerstöre die Unterscheidung (distinctio) der Dinge nach Kategorien. (S. 230) Später heißt es, der Aristotelismus erkläre die logisch-ontologischen Schemata von Art und Gattung für das Wesentliche, um nicht an der unendlichen Mannigfaltigkeit der Individualitäten zugrunde gehen zu müssen. (S. 240) Das 'Joch des Schularistotelismus' sei durch Cusanus gebrochen worden, „die Zeit der Verurteilung der eher neuplatonischen Philosophie war vorbei.“(S. 237)

Grundsätzlich nimmt Flasch also durchaus Partei für bestimmte Positionen und zwar ganz ohne irgendeinen relativistischen Historismus. Er hat deutlich Gefallen an einer jeglichen Philosophie, die die Rationalität voranbringt, die Willensfreiheit, Tugendfähigkeit des Menschen anerkennt, die Gottesvorstellung sublimiert, sowie die Emanzipation des Menschen von Machtstrukturen befördert. Ferner sympathisiert er mit Philosophien, die den platonischen Weltgeist wieder einführen wollten, so Wolfhelm mit seiner Macrobius Rezeption, Abaelard und natürlich Eckhart und Cusanus.

Von einer alten Einführung zu neuen Kampfplätzen
Die Anklageschriften zu Abälard und Meister Eckhard mögen, so Flasch, den jeweiligen Gedankengebäuden nicht in ihrer Komplexität und Exaktheit gerecht werden, aber sie leisten „für eine Einführung gute Dienste“(S. 133), sie mögen „zur Einführung nützlich sein, denn es sind die zentralen Punkte, die von Eckhart selbst hervorgehoben wurden.“ (S. 215) Die Rezensentin war etwas überrascht, zuvor war nicht die Rede davon gewesen, dass es Flasch Ziel sei, eine ‚Einführung’ zu schreiben. In seinem Vorwort hatte er allerdings erwähnt, für den Mittelalterteil seien Szenen aus seiner ‚Einführung in die Philosophie des Mittelalters’ von 1987 neu überarbeitet worden. Dies erweist sich bei näherem Hinsehen als reiner Euphemismus. Fast Zweidrittel seiner ‚Kampfplätze’ wurden mit nur sehr geringfügigen Änderungen fast wortwörtlich aus der alten ‚Einführung’ übernommen. Es ist bemerkenswert, wie Flasch es geschafft hat, diesen 22 Jahre alten Text, als Kapitel III – XV, so in sein neues Buch einzubetten, dass es kaum auffällt, wie viel alter Wein da durch neue Schläuche fließt. Nur manchmal wird der Leser stutzig, dann etwa, wenn Formulierungen wie, „er (Abälard) gab der neuen Rationalität, wie sie sich im Aufschwung der Geldwirtschaft entwickelte, eine theoretische Fassung“ (S. 129) eine Art 80er Jahre-Feeling verbreiten. Der gute alte historisch-kritische Materialismus schimmert immer mal wieder durch, ist jedoch nie aufdringlich und so konnte das Ganze problemlos als neues Buch durchgehen. Bisher ist es kaum einem Rezensenten aufgefallen, dass Flasch die Kapitel, die sich Alkuin bis Nicolaus von Kues widmen, von sich selbst geklaut hat.

Flaschs eigener ‚Hauptkampfplatz’, sein übergeordnetes Thema, in das er seine alte ‚Einführung’ quasi einbettet, ist die Auseinandersetzung mit Augustins vernunftfeindlicher Gnadenlehre. Bereits 1990 hatte er in seinem Buch ‚Logik des Schreckens’ Augustins Wende von einem Gott, der sich neidlos mitteilt, dem Gott der antiken Philosophen Platons und Plotins, der als reine Güte charakterisiert wurde, zu einem Gott der unerforschlichen Beschlüsse, der Willkür und der Gnadenwahl der Wenigen, beschrieben.

In den ‚Kampfplätzen’ widmet sich Flasch diesem Thema in den beiden ersten Kapiteln und kommt darauf im Kapitel über Erasmus und Luther zurück, dem ersten Kapitel des neu geschriebenen Teils. Luther, so schreibt Flasch, radikalisierte die Position des späten Augustins, „an deren Abschwächung ein Jahrtausend gearbeitet hatte“ (S. 246). Flasch schreibt mit Verve über dieses Thema, vornehmlich durch eine Aneinanderreihung von Lutherzitaten, die diesem nahezu monsterhafte Züge verleihen. „Luther zufolge hat die Erbsünde die Beziehung des Willens zum Guten ebenso korrumpiert wie die Beziehung des Intellekts zum Wahren.“ (S. 246) Unsere Vernunft sei ‚im Besitz des Satans’, „sie ist des Teufels Hure“. (S. 250) Luther vergleiche den Menschen mit einem Reittier, entweder reitet es Gott oder Satan. (ebda. u. S. 269) „Niemand kann sein Leben bessern. Gebessert werden nur die Auserwählten, aber nicht durch sich selbst, sondern durch den Heiligen Geist. (...) Wenn Gott die Nicht-Erwählten ohne Schuld oder weil Gott sie schuldig gemacht hat, zur ewigen Hölle verdammt, fragt Erasmus, wer kann dann noch glauben, dass Gott ihn liebt? Luther antwortet: Niemand kann das: Kein Mensch wird glauben, dass Gott zu ihm gut ist. Nur die Auserwählten werden es glauben, alle anderen werden es nicht glauben und zugrunde gehen. Sie werden sich empören...“ (S. 264)

Auch die folgenden Kapitel der ‚Kampfplätze’ widmen sich vornehmlich diesem Thema der Prädestination, Gnadenwahl und der Wiederherstellung des freien Willens. So insbesondere die Kontroverse Leibniz - Pierre Bayle und das Schlusskapitel zum Kampf zwischen Voltaire und Pascal.

Über diese letzte Kontroverse heißt es dort abschließend, obwohl nach den christlichen Lehrbüchern Pascal gesiegt habe gegen den ungläubigen Rationalisten Voltaire, redeten die Christen heute eher wie Voltaire. (S. 347) Die Erbsünde verschwindet in ihrer Darstellung nach außen, über die Trinität legen sie wohltätiges Schweigen und reden lieber von Moral, Sexualität und Frieden. „Die nicht-amtliche Außendarstellung der christlichen Konfessionen stellt heute genau die Motive heraus, die Voltaire festhalten wollte als den Kern der christlichen Botschaft.“(S. 347) Pascal hat die Mahnung Augustins ‚Gehe nicht nach außen. Im Inneren wohnt die Wahrheit’, ins Extrem übersteigert, er kritisierte die Außenbezüge des Menschen und sein Ausgerichtetsein auf Zukünftiges. Er fliehe damit vor sich selbst, weil er es in der Leere seiner Innensphäre nicht aushalte. (S. 340/41) Voltaire hingegen verteidigt die Sorge für die Zukunft und den Außenweltbezug. Kein Bauer würde säen, kein Architekt würde bauen, wenn wir uns nur primär mit uns selbst, unserem Innern und deren Gegenwärtigem befassen würden. (S. 341) Pascals Denken war geprägt von einem tiefen Pessimismus, er beschreibt das Elend der Menschen als ein gemeinsames Warten in der Todeskammer, Voltaire hingegen vertrat ein ethisch-praktisches Christentum, das sich dem Nächsten zuwendet, ohne diese seltsamen Dogmen von ‚Sündenfall, Gnadenwahl und Erlösung’ (S. 334). Ein Christentum ohne Jansenismus und damit ohne den späten Augustin. Indem Flasch beschreibt, worin die Größe des Menschen für Pascal nicht bestand, offenbart sich, worin sie für Flasch offensichtlich geradezu überzeitlich auch heute noch besteht: „Gottesebenbildlichkeit des menschlichen Geistes in seiner Selbstbestimmung und rationalen Weltgestaltung.“(337)

Trotz aller Einwände sind die ‚Kampfplätze’ von Kurt Flasch durchaus eine empfehlenswerte, da gut zu lesene, spannend geschriebene Darstellung der Philosophie vom 4. – 18. Jahrhundert. Eine Tour de force zwar, die der Leser jedoch mit Gewinn durchsteht und die ‚Lust auf mehr’, d.h. auf eine intensivere Beschäftigung mit den angesprochenen Philosophien, macht.