Variantology 3
25.08.2008

Variantology 3

Autor/en: Siegfried Zielinski, Eckhard Fuerlus

On Deep Time Relations of Arts, Sciences and Technologies in China and Elsewhere.

von Andreas Broeckmann
ein elegantes Dribbling über das schwer zu fassende Zwischenfeld von Kunst, Wissenschaft und Technologie

Siegfried Zielinski und Eckhard Fürlus haben kürzlich den dritten Band der Bücher zur Variantologie vorgelegt und damit einmal mehr den Anspruch dieser eigenwilligen Spielart der Mediengeschichtsschreibung manifestiert, einen frischen Blick, oder besser: ein elegantes Dribbling über das schwer zu fassende Zwischenfeld von Kunst, Wissenschaft und Technologie zu liefern. Die gehypten Begriffe der Interdisziplinarität und der Medienarchäologie fallen bei Zielinski kaum noch, obwohl er letzteren vor dessen inflationärer Entwertung maßgeblich mit geprägt hat. Dennoch stellt die Variantologie den Versuch dar, Forschung über 'die Medien vor den Medien' zu treiben und gerade mit solche WissenschaftlerInnen in den Diskurs einzutreten, die sich quer zu akademischen Disziplinen mit kulturwissenschaftlichen, technikhistorischen und epistemologischen Fragen beschäftigen wollen. Der Begriff des 'Mediums' ist, so Zielinski, auch deshalb heikel, weil er heute vor allem unter dem Paradigma der modernen technischen Medien verstanden wird, obwohl es in einer historisch orientierten Medienwisssenschaft selbstverständlich auch um vormoderne Techniken der Kommunikation, der Visualisierung und Wissensermittlung gehen muss. Deren Abwandlungen und Abweichungen gilt das variantologische Interesse, vor allem auch jenen, die zwar einst denkbar und wünschenswert, vielleicht gar revolutionär erschienen, später aber dem Vergessen anheimfielen oder für überholt erachtet wurden. Es geht ausdrücklich nicht um die Etablierung einer neuen Disziplin, sondern um eine heterogene Methode, durch die Medien sich als 'spezifische, interdiskursive Ereignisse' entfalten können.

eine Archäologie des Wissens und raffinierte Materialsammlung

Variantology 3 erscheint wiederum als englischsprachiger Sammelband mit gut 15 ausführlichen Essays. Nach dem thematischen Schwerpunkt auf Mittel- und Osteuropa im vorangegangenen Band (und vor dem folgenden Band zu arabisch-islamischen Themen, Variantology 4), widmet sich die neue Ausgabe vor allem den vielfältigen Beiträgen Chinas zu einer Geschichte von Medien, Wissenschaft und Technologie. Er dokumentiert damit zugleich den dritten Variantologie-Workshop, der im Dezember 2006 in Köln im Rahmen eines fünfjährigen Forschungsprojekts stattfand, das Zielinski 2007 von der Kunsthochschule für Medien in Köln mitgenommen hat an die Universität der Künste Berlin, wo er seitdem lehrt. Die Workshop-Reihe versucht, eine Kultur des wissenschaftlichen Dialogs neu zu beleben, in dem disziplinäre, geografische, religiöse oder sprachliche Unterschiede keine unüberwindlichen Grenzen darstellen, sondern Schnittstellen im Sinne des produktiven Austauschs und der Kommunikation. Man ist in diesem Band, wie die italienische Wissenschaftshistorikerin Arianna Borrelli in ihrer Studie über die Theorien des Windes in der Renaissance, oder Claudia Schink über Mythos und wissenschaftliche Erkundung des Mondlichts, um philologische Genauigkeit bemüht und verwendet, wo es nützlich erscheint, in den Verhandlungen chinesischer Themen auch chinesische Schriftzeichen für spezifische Begriffe und Originalzitate. So entfaltet sich eine fragmentierte Epistemologie des jeweils Denkbaren, eine Archäologie des Wissens und raffinierte Materialsammlung, aus der sich historische Details ebenso schöpfen lassen wie methodische Reflexionen.

Der aktuelle Band beschäftigt sich also mit Aspekten einer Vorgeschichte der Medien in China. Die Herausforderung für die Begegnung mit hochkarätigen chinesischen Wissenschaftshistorikern und internationalen China-ExpertInnen war es dabei wohl, nicht nur Entwicklungen in China darzustellen, sondern vergleichend vorzugehen und gegebenenfalls bislang unentdeckte Verknüpfungen von historischen Entwicklungen zwischen China, den arabischen Ländern und Europa aufzuspüren. Unter den Autoren ist mit Dai Nianzu der Doyen der chinesischen Wissenschafts- und Technikgeschichte vertreten, der hier über die Geschichte von Elektrizität und Magnetismus im alten China berichtet. Auch wenn es hier gelegentlich um die Frage der Ursprünge geht, so widmet auch Dai seine Aufmerksamkeit doch vor allem dem Dialog, der zwischen den verschiedenen Wissenschaftlern, Militärtechnologen und Seefahrern herrschte. Und eröffnet damit einen Diskussionsfeld, auf das auch Nils Röller sich mit seinem Aufsatz über den neuzeitlichen europäischen Kompass und Kants konkretes wie metaphorisches Verständnis nautischer Instrumente begibt.

Ein Bereich, in dem China zweifellos die Nase vorn hatte, ist die Pyrotechnik, mit deren Anfängen und europäischer Rezeption und Adaption seit dem 14. Jahrhundert sich Simon Werrett beschäftigt. In seinem Aufsatz klingt, wie auch bei anderen Autoren, die große Bedeutung der Jesuiten für den wissenschaftlichen Austausch zwischen Europa und China an. Und Werrett spricht die wachsenden Vorurteile der Europäer gegen China an, die für das zunehmend angespannte Verhältnis von Bedeutung sind. Der chinesische Wissenschaftler Chen (Joseph) Cheng-Yih dagegen befasst sich in seinem Beitrag mit der Komplementarität von chinesischer Naturphilosophie und Wissenschaft. Er verfolgt die philosophischen Grundlagen des wissenschaftlichen Denkens in vergleichender Perspektive und stellt den chinesischen Positionen die Auffassungen von Leibniz, Niels Bohr, und anderen gegenüber. Chen ist Physiker und arbeitet im Program in Chinese Studies an der Universität von Californien in San Diego; zugleich ist er Herausgeber der Wei-Kung Buchreihe zur Wissenschafts- und Technologiegeschichte in Ostasien.

Wie schon in den beiden Vorläuferbänden beschäftigen sich auch in Variatologie 3 eine Reihe der Aufsätze mit Aspekten von Musik und Akustik. Anthony Moore liefert Materialien für einen Dialog über Theorie des Klangs und Resonanz, während andere Beiträge sich in epistemologischer Perspektive mit dem Konzept der Resonanz (chin. Ganying) im China des 17. Jahrhunderts (Dagmar Schäfer, Berlin) befassen, oder mit der Theorie des akustischen Yuelü Tonsystems (Xu Fei, Hefei), über das 1881 der erste Artikel eines chinesischen Wissenschaftlers in der Zeitschrift Nature erschien. In weiteren Forschungsberichten geht es u.a. um einen Atlas zur chinesischen Wasserwirtschaft aus dem 16. Jahrhundert (Ramon Guardans), um die Geschichte der chinesischen Fortpflanzungsmedizin und der Gynäkologie (Francesca Bray), und um die Relevanz des Scherenschnitts in der chinesischen Volkskunst (Mareile Flitsch).

Neben zahlreichen schwarz-weiß Abbildungen, die die einzelnen Texte illustrieren, beinhaltet der Band wie seine Vorgänger eine eigenständige künstlerische Position, die auf Tafeln zwischen den einzelnen Textbeiträgen platziert ist. In diesem Fall handelt es sich um Abbildungen aus dem „Worldprocessor“-Projekt von Ingo Günther, in dem der Künstler seit zwanzig Jahren monothematische Globen anfertigt, die teils allgemein geo-politische, teils singulär-poetische Fakten anzeigen. Zum nützlichen Apparat des Buches gehören weiterhin eine 50-seitige Bibliografie und ein detaillierter Namens-, Orts- und Schlagwortindex, der die Arbeit mit dem Buch auch demjenigen Leser erleichtert, der ein thematisches Ziel, und nicht den variantologischen Streifzug im Blick hat.

Auf die historische Rolle wissenschaftlich arbeitender Jesuiten geht Dhruv Raina aus Neu Delhi ein, der in seinem Text eine Archäologie jesuitischer Forschungen im Indien des 17. und 18. Jahrhunderts skizziert. Historisch interessiert ihn vor allem, wie die Jesuiten einerseits durch ihren jeweiligen kulturellen Hintergrund in den verschiedenen europäischen Ländern geprägt wurden, und andererseits mit diesen Prägungen in Gebiete mit jeweils sehr eigenständigen, oft traditionsreichen Wissenschaftskulturen kamen – dies am Beispiel von China und Indien. Hier, wie auch an anderen Stellen von Variantologie 3, wird die Migration des Wissens plausibel, deren Trajekte zwischen China, Indien, Persien, den arabischen Ländern in Westasien und Nordafrika, Griechenland, der iberischen Halbinsel und Sizilien oft mehr geahnt als bewiesen werden. An einem der zentralen Kreuzungspunkte dieser Migration, in Neapel, soll im Dezember dieses Jahres der erste Zyklus der Variantologie-Workshops abgeschlossen werden soll.