Ezra Pound
30.04.2008

Ezra Pound

Autor/en: u.a. Ezra Pound

Ein Vorläufer in Haft

von Nils Röller

Darf jemand mit "schäbigen Einstellungen" einen Preis für seine literarische Arbeit erhalten? Die Jury des Bollingen Preises entschied 1949 mit Ja. Sie würdigte die "Pisaner Cantos" des amerikanischen Dichters Ezra Pound mit diesem erstmals und dann auch letztmalig von der Library of Congress verliehenen Preis. Zum Zeitpunkt der Verleihung dieser hohen literarischen Anerkennung war Pound im Washingtoner Elisabeths Hospital inhaftiert, einer Anstallt für kriminelle Geisteskranke. Die "Pisaner Cantos" hatte der Dichter 1945 als Häftling des American Disciplinary Training Center im italienischen Pisa geschrieben. Dort wurde er wegen seiner Kollaboration mit dem faschistischen Regime Mussolinis, insbesondere wegen öffentlicher Radioansprachen gegen die amerikanische Aussenpolitik, in einem Käfig verwahrt. Tagsüber komponierte Pound in Gedanken Verse, die er nachts mit einer Schreibmaschine auf Papier fixierte. Im Käfig las Pound auch Konfuzius und bereitete Übersetzungen vor, die später die Dichter der Beat-Generation begeisterten.

Gegen die Preisverleihung an Pound erhoben zahlreiche Kritiker ihre Stimmen. Die "Partisan Review" widmete der Debatte damals eine Ausgabe, die nun "Das Schreibheft" in deutscher Übersetzung vorstellt. Ein zentrales Argument gegen die Würdigung Pounds ist, dass nicht das Werk allein der Massstab für eine öffentliche Anerkennung sein kann, sondern auch die künstlerische Persönlichkeit, die im Falle Pounds seit langem mit dem italienischen Faschismus offen sympathisierte. Auch Pounds Antisemitismus war schon in zwanziger Jahren feststellbar und damit eine Haltung, die für Intellektuelle unwürdig sei, mag er auch "virtuos" Verse dichten oder selbstlos andere Dichter wie James Joyce und T.S. Eliot gefördert haben, so lautet ein gemeinsamer Tenor der debattierenden Kritiker. Dieses Votum bestimmt die politische Meinung dahin gehend, dass die Library of Congress diesen Preis, der jährlich vergeben werden sollte, nicht wieder vergeben darf. Pound wird allerdings zu dem Zeitpunkt, da er die Meinungen zwischen etablierter Kritik und Jury spaltet, zunehmend von der heranwachsenden Generation hofiert.

Hof hält Pound 13 Jahre lang in der US-Psychiatrie. Im St. Elisabeths Hospital erhält er Besuch von Charles Olson, dem späteren Leiter des legendären Black Mountain College, von Weggefährten und kritischen Freunden wie William Carlos Williams und Louis Zukofsky und von jungen Dichtern der West- und Ostküste, wie "Das Schreibheft" in seiner neuen Ausgabe dokumentiert. Ein besonderes Fundstück gelingt den deutschen Herausgebern mit der Publikation der Briefe des Medientheoretikers Marshall McLuhan an Pound. McLuhan huldigt den Inhaftierten als Pionier, der ihn zu "fünfzehn weiteren Büchern und zwanzig anderen Gedichten" antreibt. Der Dichter habe in Gedichten und Schriften wie "Guide to Kulchur" eine Sensibilität formuliert, die es ermögliche, "die natürlichen Formen der amerikanischen Sensibilität ans Tageslicht zu zerren." McLuhan erscheint in den Briefen als blitzgescheiter Adept Pounds. Mit dem Dichter teilt der spätere Pop-Philosoph McLuhan eine Sehnsucht nach ungetrübten Wahrnehmungen. So sind es bei McLuhan stets die Dichter, die diese Wahrnehmungen artikulieren. Die Massenmedien gestalten das später nach. Edgar Allen Poe habe zum Beispiel eigentlich das Kino erfunden, weil er in einer Kriminalgeschichte "die Leiche als Stillleben behandle", formuliert McLuhan in einem der nun übersetzten Briefe.

Nicht als Stillleben, sondern als beunruhigende Infragestellung fixierter Vorstellungen von Dichtung und Persönlichkeit präsentieren die Herausgeber des Schreibhefts den Fall Pound. Ist es möglich, dass ein Dichter im Radio antisemitische Attacken verbreitet und dennoch schöne Verse verfasst? War Pounds Antisemitismus nur der peinliche Fehlgriff eines "dummen Deppen"? Hätte der Dichter statt Mussolini Buddha zum Vorbild nehmen können, wie der befreundete Dichter Wyndham Lewis witzelt? Das hätte er nicht. Denn der stolze Pound handelte bewusst. Er begründete mit eigenwilligen finanzgeschichtlichen Argumentationen seine Propaganda, wie Benedikt Ledebur in seinem Beitrag für "Das Schreibheft" darlegt.

Pound hat 1968 rückblickend Stellung zu seiner Problematik genommen. Damals besuchte Allen Ginsberg den alten Mann in Venedig. Der Beatnik wollte Pound nach Amerika einladen. Der 83-Jährige sagte bei dieser Gelegenheit: "Mein schlimmster Fehler war dieses dumme kleinbürgerliche Vorurteil, war der Antisemitismus." Beim Abschied erbat sich der Beatnik den Segen des greisen Dichters. Das Schreibheft dokumentiert die ambivalenten Reaktionen, die Pound auslöste. Die zusammengestellten Texte zeigen, dass nicht die Diskrepanz zwischen seiner Dichtung und seinen Anschauungen Ursache der Problematik sind, sondern Pounds Anliegen, klar Richtungen für Geist und Leben zu erkennen und zu weisen. Das liess ihn nach plakativen Lösungen Ausschau halten und mit Mussolini prahlen, anstatt konsequent am Widerstreit zwischen Wort, Werk und Welt zu arbeiten.