Schreibheft
14.03.2007

Schreibheft, Zeitschrift für Literatur

Autor/en: Norbert Wehr

Dichterisch, herausfordernd

von Nils Röller

Die Zeitschrift ermutigt zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Zeit und Sprache. Ich empfehle sie denen, die Intensität mit sanften beharrlich kritischen Tönen verbinden möchten. Die Beiträge sind fein ausgewogen und verändern die Wahrnehmung auf das Potential nordamerikanischer Lyrik.

Der New Yorker Louis Zukofsky erklärt seinem Sohn das „Hauptanliegen“ des Dichters: Es „ist nicht etwa, sich selbst zu zeigen, sondern jene Ordnung, die ganz von allein zu allen Menschen spricht“. Der Dichter Zukofsky widmet 40 Jahre seines Lebens dem amerikanischen Langgedicht „A“. Bestimmend für die Gesänge A1-A24 war das Erlebnis von Bachs Matthäus Passion. Musik lernte der New Yorker täglich neu im Zusammenleben mit seiner Frau Celia schätzen. Mit der Musikerin, deren Spiel in den Gedichten antönt, übersetzte er drastisch die Liebesgedichte Catulls. Die Ordnung, von der Zukofsky spricht, gelangt auch in dem Gedicht „Mantis“ zum Ausdruck. Hier wird ein Insekt geschildert, das auf dem Bahnsteig einer U-Bahn gelandet ist und zu sterben droht. Ordnung impliziert für Zukofsky ebenfalls, dass er durch den Rauch einer Zigarette einen Obdachlosen beobachtet, der vor einer Konzerthalle sichtbar wird.

Die Zeitschrift „Schreibheft“ veröffentlicht erstmalig einzelne Gedichte von Zukofsky. Sie präsentiert ausgewählte Briefwechsel Zukofskys, die ihn als Teil eines Netzwerks von Dichtern würdigen. Es ist ein Netzwerk, in dem die Frage nach der Zukunft von Dichtung strategisch und utopisch diskutiert wird. Das Schreibheft 66 ist eine Zeitschrift im besonderen Sinn des Worts. Die Beiträge sensibilisieren für die zeitlichen Dimensionen dichterischen Wirkens, das immer auch Übersetzen ist. Von 1928 – 1968 schreibt Zukofsky an den Gesängen von „A“. Er nimmt zum Beispiel in die Gesänge den Fall von Paris im zweiten Weltkrieg, den Vietnamkrieg und Cavalcanti, den Dichter der Zerrüttung aus dem 13. Jahrhundert, auf. Der Gesang A 9 findet erst nach 12 Jahren einen Abschluss. Die Ordnung, die „ganz von allein zu allen Menschen spricht“, verlangt nach neuen Wahrnehmungen der Zeit, nach Wahrnehmungen von Zeiten, die durch die beharrliche Beschäftigung mit den Zeitformen des Dichtens und Denkens wahrnehmbar werden. Wer mutig und beharrlich genug ist, findet für diese Aufgabe im Schreibheft 66 Unterstützung. Die Ausgabe veröffentlicht auch Übersetzungen von T.S. Eliots „Four Quartets“, denen sich Norbert Hummelt 10 Jahre gewidmet hat.

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Schreibheft, Zeitschrift für Literatur, Nr. 66.
Herausgegeben von Norbert Wehr.
www.schreibheft.de
schreibheft@netcologne.de
ISBN 3-924071-22-5; ISSN 0174-2132.