25.05.2009

Melancholie und Vitalität

von Eckhard Fürlus

Zum Abschied von Hans Sünderhauf

Am 6. April dieses Jahres starb Hans Sünderhauf. Wir, seine Freunde und Verwandten, können das Fest zu seinem 80. Geburtstag am 22. Mai nurmehr ohne ihn feiern. Hans Sünderhauf ist tot. Nachdem er sich von einer Bronchitis erholt und es zunächst den Anschein gehabt hatte, dass er auf dem Weg der Besserung sei, ist er am Morgen des 6. April entschlafen, und es bleibt wohl bei jedem von uns der Gedanke zurück, eine Gelegenheit versäumt, ihn nicht noch einmal vor seinem Tod, ja, ihn nicht oft genug aufgesucht, gesehen und gesprochen zu haben.

Hans Sünderhauf, der „Phantast von Geblüt“, gehört wie Kurt Mühlenhaupt zum Kreuzberg-Mythos, einer ehemals proletarischen Kunst- und Künstlerszene. Wie sein Vater und Großvater, begann Hans Sünderhauf mit einer Ziseleurlehre und studierte von 1945 bis 1950 an der Hochschule für bildende Künste Berlin. In einer Rezension für Die Neue Zeitung über eine gemeinsame Ausstellung von Kurt Jentsch und Hans Sünderhauf schrieb Will Grohmann von der Freude, die es ihm bereite, „den beiden jungen Malern bei ihren Anfängen über die Schulter zu sehen und ihnen Glück auf die Reise zu wünschen.“ Damals hatte Hans Sünderhauf mit den Malern Peter Grimm, Etzel Klomsdorf, Klaus Lindemann und Rudolf Mauke die Künstlergruppe „Kreuzspinne“ ins Leben gerufen. Aus dieser Zeit kennen wir vor allem seine gezeichneten und gemalten Herbstfrauen.

  • Hans Sünderhauf - ©Peter Ursinus, Fotografie um 1970.

Über seine Begegnung mit Hans Sünderhauf erinnerte sich Kurt Mühlenhaupt in einem Katalogbeitrag: „Am Anfang lernte ich nicht ihn kennen, sondern seine Bilder. Die hingen damals, Ende der 50er Jahre, im Rathaus Kreuzberg. Sie schienen mir so eigenwillig und doch so einprägsam, dass ich unbedingt den Menschen kennenlernen wollte. Er machte mir durch seine Bilder etwas sichtbar, was ich bis dahin überhaupt noch nicht kannte. Pflanzen, Tiere, Menschen sind zu lebendigen Symbolen zusammengewachsen.“

Mystisch, traumhaft, surreal – aus dem Unbewussten quellen die Visionen des Berliner Malers: Unheimliches, Bedrohliches, Angstgesichte, geflügelte Wesen, Engel, Teufel, gebärende Frauen, Kinder, die eigene Familie und das stilisierte Selbstbildnis des Künstlers – freimütig und schwermütig.

Lothar Fischer hat im Zusammenhang mit Hans Sünderhauf von der „magischen Bedeutung in den Dingen“ geschrieben und von dem Mysterium, das den Künstler antreibt, gewisse Dinge zu schaffen. Legendär sind die vorausschauenden Ankündigungen Hans Sünderhaufs; der Bau der Berliner Mauer und die Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler dürften seine bekanntesten Prophezeiungen sein. Zu den Umständen, die er nach dem Umzug nach Friesland mit seiner Frau Waltraut Sünderhauf und seinen Töchtern Friederike und Caroline erfahren hatte und die ihn besonders beeindruckt hatten, gehörte die Tatsache, dass es im nördlichen Jeverland zwei benachbarte Dörfer gibt, welche die Namen seiner Töchter im Ortsschild führen – Friederikensiel und Carolinensiel.

1969, als Hans Sünderhauf mit seiner Familie in Friesland lebte, hatte ich ihn kennengelernt. Zu der Zeit ging ich noch zur Schule und durfte ihm durch Vermittlung meiner Mutter gelegentlich bei der Arbeit zur Hand gehen. Wie man Leinwände aufspannt und Holz- und Linolschnitte im Eigendruck herstellt, das habe ich bei ihm gelernt. Als im April 1971 die Osterferien kamen, gab er mir den Schlüssel zu seinem Berliner Atelier mit der Aufforderung, nach Berlin zu fahren, die Mauer, die Deutsche Oper in der Bismarckstraße und die Neue Nationalgalerie anzuschauen. Dieser durch Hans Sünderhauf vermittelte Eindruck der Stadt war so großartig, dass ich nach der Schulzeit Berlin als den Ort für mein weiteres Leben wählte. In das Atelier von Hans Sünderhauf in der Skalitzer Straße 62 kam ich auch weiterhin und brachte gelegentlich Kuchen mit von der von ihm geschätzten Bäckerei Ladewig in der Oppelner Straße.

  • Hans Sünderhauf, ©
  • Hans Sünderhauf, ©
  • Hans Sünderhauf, ©
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Das Atelier befand sich im fünften Stockwerk. Oben angelangt, sah man über der Tür zum Atelier einen Spruch. In großen Lettern stand dort geschrieben: „Ob Jude, Heide oder Christ, / immer rein, wer durstig ist.“ Dann haben wir bei Kaffee und Kuchen und einer Zigarette lange Gespräche geführt – natürlich auch über die Zeit in Jever. Meistens saßen wir in einem der vier Räume, der sowohl Wohn- als auch Arbeitszimmer war; hier befand sich neben der Couch und dem Esstisch mit Stühlen der große weiße Graphikschrank mit Arbeiten, die in Friesland, in Spanien und in Berlin entstanden waren. Links neben der Couch hing an der Wand eine Collage von Hans Sünderhauf mit einem Berlin-Motiv im Goldrahmen. Während der Jahre, die Hans Sünderhauf mit seiner Familie in Jever lebte, hing diese Arbeit im Treppenaufgang im von Bauer Postma bewirtschafteten Lükenshof, in dem Familie Sünderhauf das erste Stockwerk bewohnte. In Friesland bedeutete diese Collage für Hans Sünderhauf die lebendige Erinnerung an die durch Mauer und Stacheldraht geteilte Stadt.

Nach einer Tasse Pulverkaffee mit frischer Milch ging man durch ein weiteres Arbeitszimmer – das Büro mit Schreibtisch und Telefon – in das eigentliche Maleratelier. In dieser Werkstatt stand die Staffelei. Hier befanden sich die Malutensilien, mehrere mit bunten Farbresten belegte Paletten, Farbtuben und Pinsel. Hier zeigte Hans Sünderhauf seine Arbeiten, die während der vergangenen Monate entstanden waren, und hier gab es den phantastischen Ausblick auf Kreuzberg, auf die Wrangel-Kasernen, auf Friedrichshain und auf den Fernsehturm mit dem durch das gebrochene Sonnenlicht auf den Glas-scheiben erzeugte, weiße Kreuz.

Vor zehn Jahren, im Mai 1999, zeigte die Galerie Zone F in der Mainzer Straße in Wilmersdorf anlässlich des 70. Geburtstages des Künstlers eine Ausstellung mit ausgewählten Arbeiten. Eros, Liebe, Geburt und Tod, der ewige Kreislauf von Entstehen und Vergehen – in den Werken von Hans Sünderhauf sind dies die Symbole für das irdische Universum wie für das Wesen der Welt überhaupt.

Hans Sünderhauf starb am 6. April 2009. Er wird uns allen sehr fehlen. Doch er wird weiterleben. Weiterleben in unseren Erinnerungen an die Begegnungen und Gespräche mit ihm, an seine Ausstellungen in der Galerie Bremer, in der Stadtbücherei Kreuzberg, im Haus am Lützowplatz, in der Kunsthalle Wilhelmshaven, in Schweden und Spanien, weiterleben aber ganz gewiss auch in seinen Bemerkungen und Redewendungen, in seinen typischen Gesten, in seinem Lachen wie in seinen Bildern, Zeichnungen, Holz- und Linolschnitten, Radierungen und Monotypien, in seinen Objekten und Skulpturen.