14.06.2008

Die Vollkommenheit der Linien

von Eckhard Fürlus

Eine Berliner Gedenktafel erinnert an Hans Bellmer

„Die Herkunft meiner Bilder ist skandalös, weil für mich die Welt ein Skandal ist.“
Hans Bellmer

Am Dienstag, dem 15. April 2008, wurde vor dem ehemaligen Wohnhaus Hans Bellmers in der Ehrenfelsstraße 8 A in Berlin-Lichtenberg eine von den Galeristen Hendrik A. Berinson (Berlin) und Adam J. Boxer (New York) gestiftete Gedenktafel für Hans Bellmer feierlich enthüllt. Die Ansprache zu dieser Veranstaltung hielt der Kunsthistoriker und ehemalige Direktor des Centre Georges Pompidou Paris, Werner Spies.

In einem Beitrag für die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat Heinz Berggrün ihn einst „zu den meistunterschätzten Künstlern“ gerechnet. Nach einer umfangreichen Ausstellung im März 2007 haben die beiden Galeristen Hendrik A. Berinson von der Galerie Berinson, Berlin, und Adam J. Boxer, Leiter der Ubu Gallery, New York, zu einer Veranstaltung eingeladen, um den Künstler Hans Bellmer mit einer Gedenktafel zu ehren.

  • Puppen, @ GriXx, Wikipedia
„Meine süße Puppe,
mir ist alles schnuppe,
wenn ich meine Schnauze
auf die Deine bautze.“
Kurt Schwitters

Hans Bellmer wurde 1902 in Kattowitz, das heute zu Polen gehört, geboren. Seine Kindheit und Jugend verlebte er im oberschlesischen Karlsruhe. 1923 und 1924 studierte er Mathematik und Elektrotechnik in Berlin und begann auf Vermittlung von George Grosz eine Typographenlehre im von Wieland Herzfelde geleiteten Malik-Verlag. Zu seinen Arbeiten gehörte die Erstellung von Illustrationen und Photomontagen für Buchumschläge. Bellmer lernte John Heartfield und Rudolf Schlichter kennen. In Berlin-Karlshorst eröffnete er ein „Atelier für Werbezeichnungen“, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Von 1930 bis 1938 wohnte Bellmer in der Ehrenfelsstraße 8 A.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten begann Bellmers innere Emigration. 1933 gab er seine Tätigkeit als Graphiker und technischer Zeichner auf und beschäftigte sich völlig zweckfrei und gewissermaßen aus Protest gegen die Machtergreifung der Nationalsozialisten ausschließlich mit seinem Thema „Die Puppe“. Bellmer konstruierte zwei lebensgroße Puppen, die er als Spielzeug für Erwachsene und Instrument zur Befreiung von psychischen Komplexen in surreal-erotischen Situationen inszenierte. Diese Puppen waren Ausgangsmaterial für Zeichnungen, Fotografien, Gouachen, Radierungen und Objekte, die in der Folgezeit entstanden. Im Oktober 1934 publizierte Hans Bellmer 30 Exemplare seines Privatdruckes „Die Puppe“, von denen man vermutet, daß sie lediglich an Freunde und Bekannte verschenkt wurden. Im Dezember 1934 erschienen achtzehn Photographien der Puppe in der Zeitschrift „Minotaure“. Ab Mai 1935 nahm Bellmer an mehreren Ausstellungen der Surrealistengruppe teil; im selben Jahr begann er mit dem Bau der zweiten Puppe. Photographien dieser zweiten Puppe erschienen 1949 zusammen mit Texten von Paul Éluard in dem Buch „Lex Jeux de la Poupée“. Nach dem Tod seiner Frau reiste Hans Bellmer im März 1938 nach Paris.

Die erste Puppe ist nicht erhalten; die zweite Puppe befindet sich heute im Besitz des Centre Georges Pompidou Paris. Mit seiner graphischen Arbeit hat sich Hans Bellmer als einer der großartigsten und bewundernswerten Zeichner von strengster Genauigkeit ausgewiesen. Gottfried Sello hat einmal in einem Text hervorgehoben, daß Kunst und Erotik für Hans Bellmer identisch seien. In seiner Laudatio ging Werner Spies ausführlich auf das Werk des Künstlers ein und sprach von seiner Bekanntschaft mit Hans Bellmer, den er durch Max Ernst in Paris kennen- und schätzen gelernt hatte.