14.05.2006

Der Kunstmarkt in Europa

von Bernd Fesel

Ein Internationaler Boom und viele nationale Krisen

In nur fünf Jahren verlor der europäische Kernraum der Kunstmessen seinen weltweiten Monopolplatz.

Zu jeder Kunstmesse in Europa werden heute Verkaufsrekorde gemeldet. Noch vor 3 Jahren zählte das Wissen, wer kauft und wie viel ausgegeben wurde, zum Insider-Know-how. Heute schmücken sich Kunstmessen mit Zahlen und Sammlernamen - von der ART COLOGNE, auf der 2004 nach Schätzung des Veranstalters Kunstwerke für ca. 60 Mio. Euro verkauft wurden, über die ARCO in Madrid, die auf ihrer Website Käufer, gekaufte Kunstwerke und gezahlte Preise veröffentlicht, bis zur Frieze in London, die mit dem TATE Einkaufsfond wirbt. Mittlerweile ist es schon zum Allgemeinwissen geworden, dass erfolgreiche Künstler Warteliste führen: Käufer stehen Schlange. Wenn dies kein Zeichen für Erfolg ist? Und auch die Auktionen melden wieder Verkaufsrekorde. In Deutschland steigerten manche Kunstversteigerer ihren Umsatz oder Bieterzahlen um bis zu 30 Prozent von 2004 auf 2005 - die internationale Auktionspreis-Datenbank artprice, die die Ergebnisse von 2.900 Auktionshäusern und 309.000 Künstlern weltweit erfasst, stellte sogar die Angst-Frage: Überhitzt sich der internationale Kunstmarkt ?

Internationaler Kunstmarkt: Boom um 10 Prozent pro Jahr - und mehr!
Ein tieferer Blick in Statistiken des weltweiten Auktionsmarktes zeigt ein sehr differenziertes Bild: Der weltweite Umsatz in Kunstauktionen wuchs von 2,99 Mrd. € in 2004 auf über 3,29 Mrd. € in 2005. Doch dieser Zuwachs von 10% war schon eine Abschwächung des Booms von 2003 auf 2004 (+19%). Zudem ist dieser Markt nicht durch Millionen-Preise spekulativ getrieben, wie man nach der Lektüre der Auktions-Preisrekorde in den gängigen Zeitungen vermuten würde. Im Gegenteil: Laut artprice lagen 83% aller Auktionsergebnisse unter 8.250 € und sogar 56% lagen noch unter 1.650 € . Bemerkenswert ist auch die Verteilung der Auktionsergebnisse in Europa:

Land Anzahl der Transaktionen 2005 Umsatz 2005
Großbritannien 14,5% 28,4%
France 17,6% 6,6%
Italien 7,2% 3,6%
Deutschland 12,7% 3,6%
Schweiz 3,8% 1,9%

(Quelle: Art Market Trends 2005, Artprice 2006)

England ist damit zweifelsohne Marktführer im europäischen Auktionsbereich.

Auch gibt es eine starke Differenzierung nach den Epochen: Preise für Werke aus dem 19. Jahrhundert sind - nach dieser Datenbank - rückläufig, während die Preise für lebende Künstler 2005 um 12,5% gestiegen sind. Besonders erfolgreich war Fotografie: Im Jahr 2000 erzielte Fotografie in Auktionen weltweit einen Jahresumsatz von 41,2 Mio. € , 2005 war der Umsatz mit 76,6 Mio. € fast doppelt so hoch.

Nationale Kunstmärkte: Bis zu 18 Prozent Schrumpfung jährlich!
Doch diese Erfolgsmeldungen finden sich nicht im Gesamtbild des Kunstmarktes wieder - so auch im Kunstmarkt-Gründerland Deutschland: Die Auswertung der Umsätze der deutschen Handelsstatistik für den Einzelhandel Kunstgegenständen (WZ-Nr. 52482) - wie Kunstgegenstände, Bilder und Briefmarken (nicht Antiquitäten und Teppiche) - zeigt eine Rückgang von 2003 bis Januar 2006 um dramatische 23 Prozent, berechnet auf der Basis der Preise des Jahres 2000. Die Zahl der Beschäftigten ist im gleichen Zeitraum um 19,3 Prozent gesunken, davon die Teilzeitbeschäftigung um 23,4 Prozent, immer die Vollzeitbeschäftigung 'nur' um 13,9 Prozent. Und diese Negativentwicklung bleibt aktuell: Von Januar 2005 bis Januar 2006 sank der Umsatz in Preisen des Jahres 2000 allein um 18,8 Prozent, selbst auf der Basis der Preise der jeweiligen Jahre sank der Umsatz noch um 17,3 Prozent.

Vorsicht ist geboten in der Interpretation dieser Zahlen, denn die Handelsstatistik erfasst mehr als den Galerien- und Auktionsmarkt für bildende Kunst. Doch ist es sicherlich nicht ganz falsch zu vermuten, dass sich der allgemeine Kunstmarkt nicht völlig abkoppeln kann vom allgemeinen Trend in Deutschland: Der schwachen Binnennachfrage. Zumal sich dies mit den Beobachtungen im Alltag des Kunstmarktes deckt - außerhalb der Auktionen und Kunstmessen, die nicht mehr als 15 bis 20 Prozent des Gesamtmarktes stellen. Die Art Cologne mit einem geschätzten Umsatz von 60 Mio. € würde gerade einmal 10 Prozent des gesamten deutschen Marktes darstellen.

Deutschland steht mit der negativen Konjunkturentwicklung nicht alleine:
Laut Kusin & Company sind die Umsätze im Kunstmarkt schon in vielen Ländern Europas seit 1998 rückläufig: Von 1998 bis 2001 sank der Kunstmarktumsatz in Frankreich um ca. 20%, in den Niederlanden um 45 %, in Ästerreich um 45%, in Dänemark um 33% und Belgien um 25%. Gewachsen sind dem gegenüber die Märkte in der Schweiz um 21%, wobei hier auch die Auktionsergebnisse für Juwelen eingerechnet sind!), in Spanien um 12,50% und Großbritannien um 1,6%. In der Schweiz sank von 2001 bis 2003 der Umsatz mit Kunstwerken weiter von ca. 470 Mio. € auf 380,6 Mio. € .

Das weltweite Messegeschehen: Schwächung alter Messen, Stärkung neuer Messen.
Laut Kusin erzielte der Kunstmarkt 2001 weltweit einen Umsatz von 24,6 Mrd. € (Kunsthandel, Galerien und Auktionshäuser), davon 11,3 Mrd. € in Europa und 12,5 Mrd. € in den USA - Tendenz steigend. Laut Kusin hat der US amerikanische Kunstmarkt ein rasantes Wachstum von fast 7% in 3 Jahren - immerhin ist diese statistische Zahl auf den ersten Blick durch die zahlreichen Neugründungen von Kunstmessen in den USA nachvollziehbar. In Miami gibt es 2006 vier Kunstmessen, noch Anfang 2000 war es eine und diese war international kein Hotspot. Jetzt ist Miami Kunstmarkt-Kult. Weitere Messegründungen gab es in den letzten Jahren in Houston, San Francisco und New York (z.B. pulse art), doch auch in London, Paris, Spanien (z.B. Loop), Seoul, Peking und Shanghai. Auf fast allen Auslandsmessen stellen deutsche Galerien die größte Zahl ausländischer Galerien dar.

Während der Messe-Boom im Ausland einen neuen Markt aufbaut und neue Kunden erschließen hilft, hat der Messe-Boom im Traditionsmarkt Deutschland und Schweiz eine andere Folge. Zur ART BASEL und Liste Basel 2005 die Volta-Show und 2006 wird es eine auf lateinamerikanische Kunst ausgerichtete Spezialmesse geben. In Köln - der Gründungsstadt der Kunstmessen in den 60er Jahren - ebenso wie in Berlin - gründen sich um die erfolgreiche und große Traditionsmesse Art Cologne Satelliten-Messen oder Shows für jüngere Kunst. In Berlin ist das gleiche zu beobachten: Diese Satelliten-Kleinmessen erschließen in einem alten Markt schwerlich neue Kunden. Sie kanibalisieren vielmehr den Markt und schwächen durch die steigende Konkurrenz die Marktpositionen der Aussteller auf allen Messen. Dies bewirkt eine grundsätzliche Schwächung der Traditionsmessen in Europa - und dies noch im Umfeld einer rückläufigen Konjunktur im Kunstmarkt. Währenddessen werden im Ausland neue Kunstmessen immer stärker.

Nationale Folge des internationalen Erfolges: Strukturwandel
Spätestens seit 2004 hat der Boom der internationalen Kunstmessen zu einem Strukturwandel der jeweiligen nationalen Märkte beigetragen, der die verschiedenen Bilder von Boom und Krise im Kunstmarkt erklären hilft - Beispiel Deutschland: Deutsche Künstler und Kunst ist international führend - von der Foto-Kunst über die neue Leipziger Malerei bis hin zum Neo-Expressionismus - und deutsche Galerien erzielen immer größere Teile ihrer Umsätze auf den neuen internationalen Auslandsmessen. Deutsche Galerien 'müssen' dieser Internationalisierung der Messen folgen, wollen sie nicht ausländischen Galerien die deutschen Künstler, die sie zum Teil aufgebaut haben, im Auslandsmarkt überlassen. Während Top-Galerien wie Hans Mayer aus Düsseldorf oder Arndt & Partner aus Berlin früher zwei bis vier Kunstmessen im Jahr absolvierten, sind es heute eher 8 bis 12. Parallel dazu sind auch die Sammler - auch die deutschen - viel mobiler als noch in den 90er Jahren: Deutsche Kunst wird so nicht zu letzt oft in Miami von deutschen Sammlern gekauft.

Fazit: Deutsche Kunst ist erfolgreich, doch im internationalen Markt, weniger im nationalen Markt. Dieses Phänomen ist nicht gänzlich neu - auch in den 80er Jahren feierten Künstler wie Baselitz, Richter und Polke international Erfolge. Doch seit 2000 findet der internationale Kunstmarkt-Boom aus zwei Gründen in einem völlig neuen Setting statt:

  1. Parallel zur internationalen Nachfrage blieb der Umsatz im nationalen Markt - nicht nur in Deutschland - stagnierend oder sogar schrumpfend.
  2. Der Kunstmarkt Europas ist nicht mehr weltweit führend. Insbesondere die deutschsprachigen Messemärkte Europas in Deutschland, Ästerreich und der Schweiz waren seit den 70er bis Ende der 90er Jahre weltweit das Monopol, 'the place to go, see and buy'.

In nur fünf Jahren verlor der europäische Kernraum der Kunstmessen seinen weltweiten Monopolplatz:
Der alte Gründermarkt der Kunstmessen steht heute in weltweiter Konkurrenz. Früher kam der Boom internationaler Märkte den nationalen Märkten in Deutschland, der Schweiz und Ästerreich zu gut, denn der Boom spielte sich aufgrund der Monopolstellung der Kunstmessen schlicht in Köln und Basel ab. Heute nutzt der internationale Boom nicht mehr (nur) Köln oder Basel, sondern auch Miami, Peking, Seoul und vielen anderen Kunststädten dieser Welt. Dies verschärft die Probleme einer schwachen Inlandsnachfrage in vielen nationalen Märkten Europas und ist eine Erklärung für die sinkenden Umsätze, gerade in den alten Gründermärkten wie Frankreich, Deutschland und der Schweiz. Der Kunstmarkt in Deutschland erlebt - wie viele andere Branchen auch - eine internationale / nationale Spaltung durch die Globalisierung. Im Auslandsmarkt liegt der Erfolg.

Die Exportzahlen deutscher Kunst ins Ausland widersprechen dieser Beobachtung nicht, allerdings können allerdings auch nicht als eindeutiger Beleg gewertet werden : Zwar schwankt der Export zum Beispiel in die USA zwischen 134 Mio. € in 2002 und 85 Mio. € in 2005, doch lag der Export seit 2000 von Gemälden und Aquarellen etc. in absoluten Zahlen in der Regel über dem Import (mit einer Ausnahme in 2001). In einigen Jahren waren der Export mit 134 Mio. € in die USA sogar fast doppelt so groß wie der Import mit den 71 Mio. € (2002). Seit 2002 waren auch die Ausfuhren in die Schweiz und Frankreich jedes Jahr höher als die Einfuhren; lediglich der Handel mit England entwickelt sich seit 2004 gegenläufig - allerdings nur bei Gemälden. Der Export von Bildhauererzeugnissen aus Deutschland war seit 2000 nach Großbritannien, USA, Schweiz und Frankreich immer größer als die Einfuhren. Beispielsweise exportierte Deutschland in die Schweiz 2004 70% mehr als noch 2003, 189 Mio. € . Der Import stieg fast genauso stark, um 67%.

Die neue Bühne: Vom Kunstimporteur zum Kunstexporteur
Ist der deutsche Kunstmarkt nun in einer dramatischen Situation? Nein - im Gegenteil: Immer dort wo deutsche Kunst, Auktionshäuser und Galerien internationalen Standard oder überregionale Bedeutung haben, partizipieren sie am Boom des Weltkunstmarktes, der mit Nichten durch Preisspekulation getrieben ist. Dies belegt der weltweit geringe Durchschnittspreis von unter 1.650 € aus der artprice Statistik. Vielmehr haben in London, Miami und Seoul - und künftig in Peking - neue Gesellschaftsschichten den Kunstmarkt für sich entdeckt - wie in Deutschland in den 70er Jahren. Die Popularisierung der Kunst im Ausland schafft eine gewaltige neue Schicht an Käufern, die höchstwahrscheinlich noch die nächsten 10 Jahre den Kunstmarkt stützten werden - selbstverständlich auch in Deutschland, wenn auch nicht mehr so stark wie in den 90er Jahren, als Deutschland neben der Schweiz noch der führende Weltmarkt für Kunstmessen war. Doch der Kunstmarkt, der nicht überregional von Bedeutung ist, und dies sind rund 90 Prozent der Künstler und Galerien in jedem Land, wird getragen von der Inlandsnachfrage, die seit Jahren - wie allgemein bekannt - nicht in einer Boomphase ist. 2006 könnte sich dies in Deutschland ändern, wenn auch der deutsche Kunstmarkt nicht wie andere Branchen Vorzieheffekte bzw. eine Sonderkonjunktur im Jahr 2006 aus der 2007 anstehenden Mehrwertsteuer-Erhöhung erwarten kann. Die Mehrwertsteuer für bildende Kunst bleibt unverändert und erhöht sich nicht.

Der Kunstmarkt Deutschland scheint seit 2000 ein international führendes Kunst-Exportland zu sein. Noch in den 80er Jahren war Deutschland eher ein führendes Kunst-Importland: Früher pilgerte man nach Köln und Basel umzukaufen, heute auch nach Miami, Seoul, London und Peking. Die Gründer des Kunstmarktes kämpfen mit den Folgen des eigenen Erfolges. Ein Wechsel vom Import- zum Exportland setzt den Kunstmarkt in Deutschland in einen völlig neuen Rahmen: Den Export beherrschen schätzungsweise die 10 Prozent Besten der Galerien, Künstler und Auktionshäuser eines jeden Landes. Daher muss die große Mehrzahl der Künstler, Galerien und Auktionshäuser im Kunstmarkt eine alternative Strategie zur Internationalisierung entwickeln. Dies gilt für Deutschland nicht alleine, sondern vor allen Dingen auch für die französischen, österreichischen, spanischen und italienischen Märkte, deren Zugang zum internationalen Markt prozentual wesentlich geringer ist als der Zugang der deutschen Kunst. Sie ist durch die großen Auslandskontingente deutscher Galerien auf Auslandsmessen stark und präsent. Im internationalen Umbruch hat der deutsche Kunstmarkt damit eine bessere Ausgangsbasis als viele andere Kunstnationen.