22.02.2006

Wirtschaftsbranche Kulturwirtschaft

von Bernd Fesel

Das Wachstumspaket der Bundesregierung nutzt nicht das Jobpotential der Kulturwirtschaft, einer der größten Wirtschaftsbranchen Deutschlands mit 74 Mrd. € Jahresumsatz und ca. 965.000 Erwerbstätigen. Schätzungweise bis zu 45.000 neue Arbeitsplätze bzw. Firmen könnten bis 2007 in der deutschen Kulturwirtschaft entstehen, die europaweit führend ist.

Die Kulturwirtschaft - in der Wertschöpfung größer als die Software- oder Energie-Industrie [...]

Für die Kulturwirtschaft sind aus dem Wachstumspaket der Bundesregierung - auch nach der Klausurtagung der Bundesregierung am 9. und 10. Januar - keine Impulse zu erwarten. Eine der größten Wirtschaftsbranchen Deutschlands – in der Wertschöpfung größer als die Software- oder Energie-Industrie - ist von der Bundesregierung auch auf der Klausurtagung in Genshagen vergessen worden.

Es werden die allseits bekannten Spin-Off-Effekte von Kulturinvestitionen arbeitsmarktpolitisch nicht genutzt: Ein neues kreatives Produkt – ob Buch, Mode, eine Oper oder eine Ausstellung entfaltet nicht nur touristische Effekte - siehe MoMA in Berlin, die Restaurants, Taxifahrern, Hotels und sogar dem Stadtimage zu gute kommen. Eine Investition in Kultur heute bewirkt über Jahre wiederkehrende Erträge durch langjährige Vermarktungen kreativer Leistungen – Stichwort: Mozart-Kugeln. Dagegen bewirken Investitionen in Gebäudesanierungen oft nur eine einmalige Erhöhung der Aufträge für das Handwerk, die nicht systematisch zu Anschlussverwertungen führen: Die nächste Renovierung steht – wenn sie gut gemacht ist - nach 15 Jahren an. Solche blühenden Landschaften landen in der Sackgasse - leider.

In der Kulturwirtschaft können auf Dauer mehr Arbeitsplätze als im Handwerk entstehen [...]

Die Bundeskanzlerin möchte Deutschland als Wissensgesellschaft voranbringen: Dann wird es Zeit zu erkennen, dass Wissen nicht nur Bau- und Verkehrstechnik meint, sondern auch das kulturelle Gedächtnis – und noch wichtiger die kulturelle Innovation. Rund 965.000 Erwerbstätige gibt es in der Kultur. Kulturprodukte, Kulturinnovationen haben im Arbeitsmarkt eines der größten Potentiale in Deutschland. In der Kulturwirtschaft können auf Dauer mehr Arbeitsplätze als im Handwerk entstehen, denn: In der Kultur werden hochkreative Leistungen und Werte geschaffen, die eben nicht nach Osteuropa abwandern können. Doch die Förderung von Aufträgen für das heimische Handwerk ändert nichts am Kosten- und Wettbewerbsdruck aus Osteuropa. Fallen die Steuersubventionen für das Handwerk bzw. die Gebäudesanierung 2007 weg, steigt dann sogar noch die Mehrwertsteuer, wird die osteuropäische Konkurrenz wieder vorne liegen. Deutschland darf nicht versuchen, alte Industrien zu erhalten, sondern muss neue aufzubauen. Doch dazu müssen diese im eigenen Land erst noch entdeckt werden.

Neue Finanzinstrumente sind nötig für mehr Fremdkapital in der Kulturwirtschaft Im Dezember hatte auch Staatsminister Neumann angekündigt, mehr privates Kapital für den deutschen Film mobilisieren zu wollen. Diese gute Idee kann ausgebaut werden: Jährlich investieren ausländische Fonds Milliarden Beträge in deutsche Firmen. Ausländisches Kapital sucht attraktive Investitionen in Deutschland: Auch die Kulturindustrien wären eine Option, doch weder Politik noch Großinvestoren haben dies erkannt. Allerdings ist die Kulturwirtschaft auch schlecht aufgestellt für Fremdkapital. Schon heute vergeben deutsche Banken kaum mehr Kredite an Kulturunternehmen – wie auf der 2. Jahrestagung der Kulturwirtschaft am 1. Dezember 2005 in Berlin von Experten festgestellt wurde: Dies sei problematisch wegen der Größenordnung der optimalen Investitionen – Kredite an Kulturunternehmer seien zu klein: Die Bearbeitungskosten von Krediten unter 10.000 € lohnten sich für Kapitalgeber und Banken nicht. Sie investieren rentabler, wenn sie mehr anlegen.

Der Zugang privaten Kapitals, auch ausländischen Kapitals, scheitert strukturell an der Kleinteiligkeit der Kulturwirtschaft. Das ist eine ordnungspolitische Aufgabe für die Zukunft – nicht nur in Deutschland, aber vor allem in Deutschland als einer der größten Kulturwirtschaftsnationen in Europa. Ist ein Kapitalmarkt der Kleinteiligkeit gefordert, um innovativen Branchen unserer Gesellschaft – nicht nur, aber auch in der Kultur - Finanzierungen zur Verfügung zu stellen? Eine Art Kulturunternehmer-Börse mit Kultur-DAX für Firmen mit Jahresumsätzen unter 250.000 € ? Oder wäre ein Risikokapital-Fonds für Kulturprojekte a la „3i“ sinnvoller?

Hochfinanz-Fantasie für die Kultur ist jetzt gefragt, damit sich die Wissens- und Kulturgesellschaft des 21. Jahrhunderts in Deutschland finanzieren kann und die Innovationen heute noch Unbekannter Deutschland voranbringen: So wie 1946 als Max Grundig mit der halblegalen wie grandiosen Idee des „Heinzelmann-Baukasten“ seinen Erfolg begründete. Diese Baukästen entstehen nun immer mehr in Asien. Unsere Heinzelmänner der Zukunft sind Kreative und Künstler. Dafür kommt die Welt schon jetzt nach Deutschland, auch ohne WM. Ein Blick zurück hilft die Zukunft in den Händen zu halten.



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Bernd Fesel ist dipl. Volkswirt, betreibt das Büro für Kulturpolitik und Kulturwirtschaft und veranstaltet die Jahrestagung Kulturwirtschaft Mehr Informationen zum Thema "Kulturwirtschaft", aktuelle Statistiken etc. finden Sie unter: www.berndfesel.de